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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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Experimentierfeld Galizien – und immer neue Gängelungen, neue Plagen, Krieg, Rechtlosigkeit und Gewalt. Auschwitz wurde überfallen, eingenommen, ausgebeutet, enteignet.
    Bei jedem neuen Kind, das zu Hause in der Wiege lag, mußten mehr Steuern bezahlt werden. Der Habsburger Kaiser, der stolz den Titel »Herzog von Auschwitz« trug, malträtierte die Juden nicht nur mit hohen Einkommens-, Tolerierungs- und Kopfsteuern, sondern erließ Steuern selbst für die Säuglinge, für koscheres Fleisch und Kerzen und führte eine Heiratstaxe ein. Man nahm die Juden bis auf den letzten Heller aus.
    Die ersten hundert Jahre der österreichischen Herrschaft waren für die Juden eine Katastrophe. Politisch verloren sie ihre Autonomie und wurden Opfer eines brutalen Antisemitismus.
    Mit der März-Revolution 1848 bekamen sie volle Bürgerrechte zurück. Und 1867, im Jahr von Großvaters Geburt, war aus dem österreichischen Kaiserreich die Monarchie Österreich-Ungarn entstanden. Galizien wurde Selbstverwaltung und Eigenständigkeit zugestanden, doch damit war es nicht weit her. Galizien blieb ein Armenhaus, und die Juden waren stets unterwegs, auf der Suche nach Arbeit.
    Auschwitz, Ospencin, Osvencin, Hospencin, Oschpitzin, Osswetem, Uspencin, Oswentim, Wswencim, Auswintzen, Oświęcim, Oswencin, Auswieczin, Awswiczin, Uswiczin – verschiedenste Schreibweisen aus polnischen, russischen, deutschsprachigen, böhmischen, ungarischen und lateinischen Kanzleien – eine Fülle wechselnder Epochen, Kaiser und Könige, Ausbeuter und Tyrannen.
    Pawełs Sicht des Judentums ist sachlich, von Idealisierung ungetrübt, und sein Volk sieht er kritisch.
    Eine enge Vertrautheit zwischen Polen und Juden gab es nicht, sagt er. Die Polen betrachteten die Juden als Ausländer, die nach eigenen Gesetzen leben durften. Nicht als Fremde, sondern als eine separate Kaste, die man duldete.
    So erklären sich die Vorbehalte des Großvaters gegen die Polen. Nicht nur machte dem Schüler nach dem Wechsel vom Chejder zur öffentlichen Volksschule das Erlernen der polnischen Sprache Schwierigkeiten, er fühlte sich auch von den polnischen Mitschülern nicht anerkannt.
    Ich blicke über das Land. Parzellierte Felder, zum Teil mit Roggen bepflanzt. Anfang 1940 hatte Himmler das Gelände um Auschwitz entdeckt und zum »Interessengebiet« erklärt. Trotz aller Mängel – das Areal mitten in einem von Malaria befallenen Hochwassergebiet, das Grundwasser verseucht – waren die Vorzüge nicht zu übersehen: der Eisenbahnknotenpunkt, die Kasernen des sechsten polnischen Reiterbataillons. Das Landstück von Weichsel und Soła und kleinen Nebenärmen durchzogen und leicht abzuschotten.
    Sie denkt an das, was Hitler vernichten wollte: Unabhängigkeit, Freiheitsbedürfnis, politischen Mut.
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    * * *

7. Der Friedhof
    Auch der alte Friedhof an der Dąbrowski-Straße scheint der einsamste der Welt. Es ist ein jüdischer Friedhof aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, 1980 wurden die Stelen teilweise behutsam restauriert. Eingravierte hebräische Lettern. Ein Geviert, umrahmt von bemoosten Mauern. Ursprünglich vorschriftsmäßig in zwei Teile gegliedert, den Beerdigungs- und den Wirtschaftsteil. Männer und Frauen getrennt, Kinder im separaten Teil begraben.
    Paweł zieht eine Mütze aus der Jackentasche und setzt sie auf.
    Bäume umringen die sich langsam senkenden Grabsteine, die Macewa; hebräisch, jiddisch oder polnisch beschriftet, nur wenige deutsch. Sie sind von hohen Schneehauben gekrönt. Viele sind beschädigt, die Inschriften der Verstorbenen herausgeschlagen. Ich stoße auf das Grabmal der reichen Industriellen Rudolf und Erna Haberfeld. Henoch Hennenberg, dessen Macewa 1979 von seinem Enkel Jacob aufgefunden wurde. Die Inschrift berührt. Sie berichtet von einem »wichtigen und geschätzten, guten Menschen aus angesehener Familie«: »Er sicherte reiches Fortkommen seiner Familie, half den Armen und Benötigenden. Er war ein Ehrenmann und sehr weise. Seine Enkel und seine Söhne werden über seinen Tod weinen. Er war sehr gläubig und lebte nach den Geboten der Religion. Möge seine Seele das ewige Leben genießen.«
    Pawełs Augen sind traurig. Ich denke an Golo Manns Worte, die ergreifendsten, die ich je im Zusammenhang mit dem Judenmord vernommen habe: »Aber ich

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