Meine Väter
schlägt mir anerkennend auf die Schulter. Er hat eine Benachrichtigung des k.â&âk. Kreisamtes von BiaÅa vom 21. Mai 1887 gefunden. Aktennummer 1252, gezeichnet in Schlemin (ÅlemieÅ). Mein GroÃvater wird nach Å»ywiec vorgeladen zur Musterung.
Er heiÃt Eliezer. Eliezer Feivel Bronner, geboren am 15. Oktober 1867, mosaischer Religion wie seine Eltern Etiel und Hinde Ester. Der Name Hosea, Oscar, den Ferdinand später für seinen Vater nennt, taucht hier nicht auf. Eliezers Mutter Hinde, eine geborene Pilzer, Bäuerin und Analphabetin, hatte vier Kinder und einen Bruder, der verheiratet war mit einer, laut Katasteramt, »unehelichen Ehefrau«.
Wir lächeln uns an.
Durch das geöffnete Fenster blicke ich hinaus auf die erschöpften Pappeln, deren Kristallblätter im Wind leise klirren. Ich lese den Namen immer wieder. Im Archiv von Auschwitz zu sein, neben PaweÅ zu sitzen und den wirklichen Namen schwarz auf weià zu lesen, das ist eine Genugtuung, und ich danke PaweÅ und dem freundlichen Archivar. Er reicht mir eine eiskalte Hand, kehrt wieder an seinen Schreibtisch zurück und läÃt uns mit der Akte allein.
Stille. Der Name dringt in mich ein und beschäftigt mich.
Ehe wir gehen, bitte ich den Archivar, mir eine Kopie der Schriftzüge zu geben.
PaweŠgeht mir voraus, um einen Kaffee zu trinken. Dann verabschiedet er sich unter vielen Entschuldigungen: Er muà noch Seminararbeiten korrigieren.
Ich bleibe hier und werde mit dem Zug zurückfahren.
Dann nehme ich die vereiste Treppe und finde mich unter den Pappeln wieder. In der Hand die Kopie mit dem Namen in hochgezogener schmaler deutscher Schrift.
Ich lehne an der Pappel und sage seinen Namen. Eliezer, zusammengesetzt aus Eli, Gott, und Ezer, Helfer. Gott ist dein Helfer. Ein Hilferuf an Gott.
Also gut. Nennen wir ihn hinfort Eliezer, bis wir eines anderen belehrt werden.
Und? Was hat sie damit erreicht?
Den Namen irgendeines Juden?
Sie läÃt die Ströme der Häftlinge an sich vorüberziehen. In ihrem Schatten hat er überlebt.
Nur wenigen Assimilanten ist das gelungen. Die meisten hat das Unheil eingeholt.
Sie wurden Soldaten, kämpften fürs Reich, fielen. Andere gingen ins Exil. Oder kamen gleich ins KZ .
Die Frage ist doch: Wie hat er das geschafft, zu überleben?
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11. Der Sohn
Die wenigen Seiten, auf denen mein GroÃvater seine Kindheit erwähnt, wurden wohl mehrfach bearbeitet. OÅwiÄcim, der Ort seiner Kindheit, erscheint vernebelt und äuÃerst knapp. Aus kindlicher Perspektive erzählt er nie. Hat er je Spielzeug besessen, Bären und bunte Klötzchen, träumte er vom Zirkus und von Märchenfiguren? Eher nein. Er schreibt von Heften und Schulprämien, Leistungen, Windelnwaschen. Hier berichtet einer, der früh in die Rolle des Erwachsenen schlüpfen muÃte.
Ein romantischer Ort war Auschwitz sicher nicht, trotz Viehmarkt und Synagogen. Sondern ein Ort, dessen Bewohner um ihre Existenz kämpften. Dabei war er vielleicht auch ein träumerisches Kind. Denkbar, daà sich das Kind am ehesten im Wald finden läÃt, wenn ihn sein Vater mitnahm.
Der schwarze Wald von Auschwitz, den sein Vater hegte: »Seine Herkunft ist in Dunkel gehüllt.«
Ich stelle mir vor, daà dieses Dunkel Eliezer früh beschäftigte. Der Junge, der hinter seinem Vater herstapft, vielleicht an einem Wintertag im Jahr 1876 frühmorgens, mag Eliezer sein, mein geheimnisvoller GroÃvater, wenn er es denn war. Vielleicht trägt er eine braune gehäkelte Schafwolljacke, und darunter ein Flanellhemd. Ein hübscher Junge mit aschblondem Haar, das eine Wollmütze verdeckt.
Wald, Dunkelheit, die Bäume, der Boden schwer von Schnee und Feuchtigkeit, kaum etwas zu sehen. Wenn er den Vater auf seinen Waldgängen begleitete, hatte er ihn für sich alleine, suchte er Wärme, Markierungen, Geschichten? Sag Vater, wer? Wer war mein GroÃvater?
Und vor ihm mein UrgroÃvater, Etiel. Trotz Nachfragens und Recherchierens: Er bleibt rätselhaft. Sein Vater stammte, schreibt Ferdinand, von ungarischen Schwaben ab, die »zu irgendeiner Zeit« nach dem westlichen Galizien ausgewandert waren. Er hatte schon früh seine Eltern verloren, »fremde Leute nahmen sich seiner an«. Kurz hatte er die Schule besucht, war aber durchaus nicht ungebildet und »führte eine schöne Hand«.
Etiel war
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