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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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Geld.
    Täglich kam er am Hotel am Rynek vorbei, wo unzählige Flüchtlinge Unterkunft gefunden hatten. Der Inhaber wurde, zusammen mit dem Polizeichef und dem Chef des österreichischen Zolls sowie einigen Bahnbediensteten, des Menschen- und Warenschmuggels verdächtigt.
    Seit der vollendeten Einigung Deutschlands im Jahr 1871 gab es in Auschwitz eine Auswanderungsagentur der Hamburg-Amerika-Linie. So wurde der Ort zu einem Anziehungspunkt für Schmuggler und Flüchtlinge. Es herrschte nicht nur Leichtgläubigkeit und Unwissenheit – lebhafter Mädchen –, überhaupt Menschenhandel erlebte eine Blütezeit.
    Es gab auch Einwanderungsschübe, die vor allem russische Juden nach Oświęcim brachten, Saisonarbeiter, die man »Sachsengeher« nannte, was in etwa »arbeiten gehen« bedeutete, und man begann, »Sachsenlager« zu bauen, einfache Häuser mit Walmdach und Holzbaracken. Dort entstanden die späteren Konzentrationslager.
    Auschwitz nahe der Grenze zwischen Österreichisch- und Preußisch-Schlesien schien der geeignete Ort zu sein, um über die Grenze zu kommen. Für die Zurückgebliebenen bedeutete Auswanderung der Verlust von Familienmitgliedern, für die Mutigen Unsicherheit und bei weitem nicht immer Neuanfang. Bei Nacht und Nebel zogen
sie los, ließen Eltern und Kinder zurück und wurden vielleicht an der Grenze gefangen, erschossen oder hingerichtet. Wenn sie im Winter nachts verstohlen ihre Heimat verließen, legten sie Decken über den Schnee, um ihre Fußspuren zu verdecken.
    Das Schmugglertum blühte und beförderte den industriellen Aufschwung Oświęcims. Verkehrstechnisch lag Auschwitz günstig: Seit die Stadt zwischen dem Kohlenrevier um Kattowitz-Dombrowa und dem Industrierevier Bielsko Eisenbahnknotenpunkt geworden war, ging es mit der wirtschaftlichen Entwicklung aufwärts. Drei Linien der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn führten nach Krakau, Kattowitz und Wien, und über Kattowitz erhielt man Anschluß zur Fernstrecke Breslau – Berlin – Hamburg.
    Vielleicht stand Eliezer auf dem Nachhauseweg manchmal am Bahnhof und blickte sehnsüchtig dem Mittagszug nach, voll Hoffnung, eines Tages nach Berlin oder Wien zu fahren, dort zu studieren und dem Vater zu entrinnen. Die Universität würde ihn weise machen, sein Wissen stark, er würde ein angesehener Bürger werden, ein Lehrer gar.
    Er hat sich wohl isoliert und verachtet gefühlt. Vielleicht wurde er wegen seiner Armut, seiner ausgebesserten und gewendeten Jacke gehänselt, wegen seines groben Haarschnitts, der plumpen Schuhe des Vaters, die er auftragen mußte und die ihm viel zu groß waren, meist schmutzig vom rotbraunen Morast.
    Es würde ins Bild passen, daß ihn die Mitschüler als Juden verspotteten. Dabei sah er keineswegs so aus, wie man sich einen Juden vorstellte. Die jüdische Tracht trug er nicht mehr, seit er vom Chejder zur öffentlichen Volksschule gewechselt hatte. Er schrieb nicht von rechts nach links und trug weder Kappe noch Hut noch Schläfen
locken. Nur Schweinefleisch aß er nicht, da die Mutter koscher kochte. Von der Mutter, Jüdin aus dem russischen Polen, hatte er eine gut geformte, nicht allzu große und gerade Nase geerbt, die schönen, großen, graublauen Augen, die ruhigen Gesten, den beinahe zarten Körper, die stille und bescheidene Art.
    Sich bei den Angriffen der Mitschüler nur nichts anmerken lassen. Kein Wort dazu.
    Er begann, sich zu kontrollieren.
    Sich im Verschweigen üben. Distanz.
    Sein Alltag. Das Kabinett, vom kleinen Wohnraum durch eine Glastür getrennt, die Kinder im Wohnzimmer: »In diesem Zimmer schliefen wir Kinder und die Kostknaben. Wir waren drei Geschwister, ich, der Älteste, die eineinhalb Jahre jüngere Schwester Amalie und als Jüngster der Bruder Josef. Die Einrichtung war die denkbar einfachste, ja dürftig zu nennen. Es war eine richtige Armeleutewohnung.« So steht es in seinen Erinnerungen.
    Die einprägsamsten Dinge seiner Kindheit sind seinem ersten Bühnenstück Familie Wawroch zu entnehmen. Hier spürt man für Augenblicke, wie Eliezers Kindheit gewesen sein muß.
    Enge. Kleinbürgermief. Unterdrückung. Armut. Zwang. 
    Ich stelle mir vor, wie er müden Schritts die hölzerne Außentreppe zur Wohnung im Hinterhaus nimmt, die neben dem Zugang zum Dachboden liegt. Der Schulweg von Auschwitz nach

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