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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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sondern auch das private Leben.
    Bei verschiedenen Herrschaften tätig, vergeudete Etiel das bißchen Geld, das er mit Gelegenheitsarbeiten verdiente, und wurde wiederholt »durch Intrigen von seinen Posten verdrängt«.
    Gab es Vorbildliches am Vater? Nicht ungebildet, schrieb eine schöne Hand: das heißt vielleicht, daß der Sohn es so sehen wollte.
    Die Mutter war »eine Frau von tiefer Herzensbildung, konnte weder lesen noch schreiben, eine richtige Bäuerin«, einer jüdischen Familie aus dem russischen Polen entstammend. Sie sang und lachte gern und hatte ein energisches Temperament – anders hätte sie den Haushalt unter kümmerlichsten Umständen mit den vielen Kostkindern auch nicht bewältigen können.
    Singen und Lachen – eine einfache Frohnatur? Muß sein Herz irgendwo eine Heimat haben?
    Eines Tages verschwand der Vater, und die Familie hatte zwei Jahre lang keinerlei Nachricht von ihm. »Die Verzweiflung über die Erfolglosigkeit all seiner Bemühungen«, so Ferdinand, »die Demütigung, daß er zum Unterhalt der Familie nichts beitragen konnte, hatten ihn von zu Hause fortgetrieben.«
    Die Mutter hielt sich und ihre vier Kinder mit der Versorgung von fünf, manchmal sechs Kostkindern am Leben. Eliezer, der Musterknabe, gab bereits mit acht Jahren Nachhilfeunterricht: »In dieser bitteren Zeit war ich also die einzige Stütze, in gewissem Sinn der Ernährer der Familie.«
    Diese Zeit hat sein Leben geprägt: Er wurde »reif und selbständig«, für Scherz und Spiel war keine Zeit, er lernte früh »die Bitternis des Lebenskampfes« kennen. »Davor, durch solche Schicksalsfügung verbittert zu werden, bewahrte mich doch glücklicherweise mein angeborenes, von der Mutter ererbtes heiteres Temperament.«
    In der öffentlichen Schule, die er auf eigenen Wunsch hin ein Jahr früher, als es gesetzlich verordnet war, besuchte, war ein Großteil seiner Mitschüler Christen: Polen, Österreicher, drei Schwaben, die Deutschen, die sich etwas Besseres dünkten. Sein Wissensdurst trieb ihn an. Nur wenn er viel wußte, würden ihn die anderen akzep
tieren. Seine Lehrer liebten ihn – sie hatten seine Gewissenhaftigkeit wohl erkannt.
    Mit der veränderten politischen Landeszugehörigkeit der kleinen Stadt ging jeweils auch ein Wechsel der Amtssprache einher, von Polnisch zu Deutsch zu Tschechisch und wieder zu Deutsch. Und als das cisleithanische – so benannt nach einem schmalen Grenzflüßchen – Kronland Galizien 1866 den Autonomiestatus erhielt, zog die polnische Sprache wieder in die Verwaltung, die Schulen und Universitäten ein.
    Da zu Hause Jiddisch vermengt mit dem örtlichen Dialekt und Deutsch gesprochen wurde, hatte Eliezer in der Schule anfangs Schwierigkeiten, Polnisch zu sprechen, schon deshalb fühlte er sich den Polen wenig zugewandt. Doch schon bald sprach er fließend Polnisch und Deutsch, das in seiner Schule nur noch ein weiterer Schüler beherrschte, auch Hebräisch, das er im Chejder gelernt hatte. Seine Stimme war klar und kräftig (auch im Alter noch, das erzählte sein Enkel), hatte einen melancholischen Singsang, und er rollte das R.
    Es war für einen Jungen aus Oświęcim bedrückend, an die Zukunft zu denken. Vielleicht hätte er in einer Fisch- oder Konservenfabrik schuften oder Schrauben einordnen müssen. Es war so gut wie aussichtslos, eine besser bezahlte Arbeit in den Chemiewerken zu finden. Nur wenige Juden arbeiteten in Banken und Fabriken. Ins Bürgertum schaffte es ohnedies kaum einer.
    Ã„rmliche Kleinhändler, die mit Vieh, Getreide, Pelzwerk, Wolle, Federn, Seiden und Sensen handelten und den Marktplatz belebten. Ratenhändler, Greißler, Hausierer, die von Geschäft zu Geschäft gingen. Männer mit Hut und Frauen in langen Röcken, deren Saum im Lehm streifte, Kinder an der Hand, schlenderten an den Ständen vorbei und betrachteten die Tiere und Waren.
    Es brauchte Wagemut und Erfindungsreichtum, um das Leben zu meistern. Eliezer aß an ergatterten Freitischen, arbeitete im Haushalt und half den Kostknaben bei den Schularbeiten, damit ihnen die Behörden sie nicht entzogen, wenn sie schlechte Zeugnisse bekämen. Seine eigenen schriftlichen Aufgaben machte er in der Nacht. Wenn die Kostknaben schliefen, kehrte endlich Ruhe ein. Es sei denn, Vater und Mutter stritten über das vertrunkene

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