Meine Väter
Waldmanipulant oder Waldheger, ein Posten unter dem des Försters für die untergeordneten Dinge, und verdingte sich bei verschiedenen Herrschaften, mit langen Phasen der Arbeitslosigkeit. Bis in Eliezers Zeiten lebte Galizien von der Land- und Forstwirtschaft, und das Land war zu einem Drittel im Besitz groÃer Herrschaftsfamilien. Seit OÅwiÄcim durch seine günstige Lage in die neuen Industriegebiete eingebunden war, gab es jedoch für ihn immer weniger Posten. So wanderte Etiel von einem Forstherrn zum anderen, was mit ziemlichen FuÃmärschen durch halb Galizien verbunden war, ahndete Forstfrevel, registrierte Waldbeschädigungen und Holzraub, versah die zu fällenden Bäume mit Zeichen und ging gegen Wild- und Insektenschäden vor. Er zog angeschossene Rehe aus dem Lehm, kümmerte sich um ihre Wunden und trug sie in seine Holzhütte.
Er wird also kein Stadtmensch gewesen sein, mit seinem groben Schuhwerk, mit ausgeprägtem Geruchssinn und scharfem Blick, und in den Knien geknicktem Waldläufergang, als gehe er tagaus, tagein auf die Pirsch. Vielleicht schlief er manchmal unter den Büschen und schoÃ, wenn er einen Holzdieb zu sehen meinte. Die vom Grundherrn angestellten Waldhüter sollen oft mit ziemlicher Brutalität gegen beeren- oder holzsammelnde Bauern vorgegangen sein. Etiel kam häufig schwankend nach Hause â
offenbar hatte es ihm der Schnaps aus der Auschwitzer »Dampffabrik feiner Liköre« angetan.
Mit vierunddreiÃig Jahren war er »ein streng rechtlicher Charakter«, seinen Kindern gegenüber »mehr zur Strenge als zur Zärtlichkeit geneigt«. Er verstand es, zu erzählen, wenn er in Laune war. Dann gelang es Etiel wohl mühelos, das Geheimnis um seinen Vater so auszuschmücken, daà auch Hinde, Eliezers Mutter, am Ende nicht mehr wuÃte, ob das inzwischen ausgewachsene Findelkind auf einem rauchenden HolzstoÃ, im Vogelnest hoch oben im Baum oder in der Abstellkammer einer düsteren Kaschemme gefunden wurde.
Er erzählte gern und »liebte eine gehobene, fast pathetische Ausdrucksweise«. Er hatte wenig Sinn für Humor, und Eliezer erinnerte sich nicht, ihn je lachen gesehen zu haben. »Er war mit einem Worte: durch und durch Pflichtmensch.«
Ein Pflichtmensch, der seinem Sohn vorschrieb, auch einer zu werden. Der den Sohn einem Leistungsdruck unterwarf, den er selbst floh. So arbeiten GroÃvaters Erinnerungen beharrlich am Bild des perfekten Sohnes, der unentbehrlich ist. Vom Judentum erzählen sie nicht.
Gedächtnislücken? BewuÃtes Verschweigen? Auch das sind Informationen.
Argwohn ist angesagt. Zum Beispiel, wenn er in den paar Sätzen über seinen Vater schreibt, daà er ein Orthodoxer gewesen sei, die Orthodoxen aber aus tiefster Seele haÃte. Daà seine Kippa zu Hause moderte und er nur an hohen Festtagen zur Synagoge ging.
Anekdotische Zuspitzung? Was wieder im Widerspruch dazu steht, daà er »ein streng rechtlicher Charakter« gewesen sei.
Dieser Pflichtmensch wiederum war äuÃerst trinkfest,
ja, wohl ein Alkoholiker, den sein Sohn wiederholt von der Branntweinschänke nach Hause schleifen muÃte. Zu allem Ãbel verschwand er hin und wieder von heute auf morgen hinter den Wäldern, von Hinde, Ferdinands Mutter beweint, und überlieà den Unterhalt seiner Familie dem Sohn.
Familienlegenden. Eliezer konnte nie wissen, ob stimmte, was der Vater erzählte. Daà der Vater seiner Mutter ein groÃer jüdischer Rabbi gewesen sei, glaubte er erst, als die Mutter es bestätigte. Die Vorväter waren eine unerschöpfliche Quelle immer neuer Erzählungen, als sollten sie für fehlende Familiengeschichten entschädigen.
Unwahrscheinlich, daà die Version stimmt, wonach Etiels Eltern von ungarischen Schwaben abstammen, denn diese Herkunft wurde allzu häufig bemüht, um jüdische Abstammung zu kaschieren. Nicht umsonst war »Schwabe« in Galizien ein Schimpfwort.
All diese Ausflüchte, diese Unsicherheiten und Ungenauigkeiten! Bedeutet dies auch, daà die Geschichte mit dem Findelkind wenig verläÃlich ist?
Keine richtige Arbeit. Kein Selbstvertrauen. Was sicher damit zu tun hatte, daà ein uneheliches Kind oder ein Findelkind wie Etiel in der jüdischen Gesellschaft ein Geächteter war. Die intensive Kontrolle, die der mächtige Ãltestenrat der Juden ausübte, erfaÃte nicht nur das religiöse,
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