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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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Verlassenheit, die niemand teilen konnte, da niemand wußte, was er alles in sich ausgelöscht hatte, und das zu wissen, vergrößerte abermals seine Einsamkeit.
    Sie löst ihre Vorstellungskraft von seiner Befindlichkeit. Die Frage, wie er überlebte, darauf kommt es an.
    Nach einer Mittagspause im Hotel flanieren wir durch die Wiener Innenstadt und geraten per Zufall auf den Judenplatz, den einstigen Mittelpunkt der Judenstadt. Hier war die Judenschule, eine der besten Schulen Europas. Renate dahin zu führen, hatte ich nicht vorgehabt, es könnte eine Horrorstunde werden.
    Das Mahnmal am Judenplatz für die jüdischen Opfer der Shoah in Österreich verarbeitet Gedanken zur Bücherverbrennung. Ein Kubus aus versteinerten Büchern, die Buchrücken weisen alle nach innen, und unweigerlich muß ich an das Schweigen meiner schreibenden Väter denken.
    Ich blicke Renate an, suche in ihrem Gesicht nach Anzeichen von Abwehr.
    Schuld, sagt sie, als hätte sie verstanden, mit Schuld kann ich gar nix … ich hab's nicht mit der Schuld, damit muß jeder selbst zurechtkommen. Immer will einem jeder Schuldgefühle aufzwingen, da mach ich nicht mit. Ich kann nicht sehen, was das soll.
    Du versuchst, deiner Verwirrung zu entgehen, sage ich, indem du den Schuldbegriff in Frage stellst.
    Schuldgefühle ohne Schuld, das ist Quatsch, sagt sie. Außerdem: ich hab die Schuld, die ich nicht hab, längst durch die Kriegszeiten abgearbeitet. Sie blickt mich herausfordernd an.
    Aber was hast du mit der NS -Geschichte gemacht? Wie gehst du damit um?
    Sie zuckt die Achseln, fühlt sich nicht herausgefordert. Wie gesagt, mit der Schuld hab ich's nicht, wiederholt sie.
    Und mit den Juden hast du's auch nicht.
    Ich denke, gleich geschieht etwas. Das ehemalige BDM -Mädel hat man früh gegen Schuld und Sühne immunisiert, die DDR tat das ihre.
    Nicht unbedingt, sagt Renate. Bis auf ein paar. Es gibt nun mal Dinge, die will ich wissen, und Dinge, die brauche ich nicht. Weißt was? Ich verhalte mich nie therapeutisch. Mit Juden müßte man das tun.
    Müßte man nicht, sage ich, aber wir tun es.
    Ich glaube, sage ich nach einer Weile, was das Judentum betrifft, hat dich dein Bedürfnis, Arnolt zu schützen, immer blockiert.
    Sicher mußte ich ihn schützen, sagt sie, er war so wehrlos. Und so euphorisch, als man ihn nach dem Krieg als Chefdramaturg an das kommunistische »Neue Theater in der Scala« in Wien holte. Er hoffte auf einen Neubeginn –
und dann dieses infame Komplott der jüdischen Remigranten, die ihn auch später in der DDR mit Feuer und Schwert verfolgten. Sie lehnten ihn wegen seines Vaterschaftsprozesses ab und blockierten seine Arbeit. Bald fand er sich quasi in der Rolle des Statisten.
    Ist doch verständlich, daß sie ihn anprangerten, sage ich.
    Es folgt eine Tirade, die vom Vater jener Zeit stammen könnte; sie spricht von »jüdischen Nebelmotiven«, »westdeutschen Revanchisten und Militaristen«.
    Es kommt zu einem rhetorischen Schlagabtausch, voll innerer Erregung, in dessen Verlauf mir klar wird, daß Renate es nicht länger mit mir aushält. Doch ich bin nicht gewillt, mein Urteilsvermögen aus Rücksicht zu suspendieren, nur weil sie älter ist und in einer Welt gelebt hat, die ich nicht kenne.
    Ich sage: Willst du ewig das BDM -Mädel bleiben und in einem moralischen Vakuum weiterleben?
    Ein aggressiver Blick. Aber keine Antwort. Wieder lenkt sie ab.
    Mir war es immer gleichgültig, sagt sie, wer sein Vater war – ich nehme die Menschen nun mal so, wie sie sind. Für mich war entscheidend, wie er zu mir stand.
    Eine praktische Einstellung, sage ich, bequem. Für beide.
    Nein, sagt sie, das ist meine Art von Treue. Wenn ich jemanden liebe, stehe ich zu ihm.
    Und fragst lieber nicht, sage ich. Hast du jemals mit ihm über sein Verhältnis zu Goebbels und Konsorten gesprochen? Zur Zeit eures frischen Verhältnisses arbeitete er noch für das Auswärtige Amt.
    Ãœber Vergangenes reden, das mochte er nicht.
    Aha.
    Ich denke: Mein Vater behielt seine Arbeitsmethode bei.
Renate nahm an seinen Gedanken und Werken ebenso wenig teil wie meine Mutter. Probleme wurden ausgespart.
    Im liberalen Westen gab es für ihn keine Chance mehr, blieb nur die Hoffnung auf die DDR . Er war gebrochen. Hans Mayer nannte ihn auf meine Frage einen erloschenen, leisen, diskreten Mann, der den Unauffälligen

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