Meine Väter
jüdischen Patriarchen. Würde es denn nicht ins Bild passen, daà ihn der Geist des Vaters, eingefangen im Bild drohender Gesetzestafeln, bis in seine Träume verfolgte?
1885 und im Sommersemester 1886 noch als Student mosaischen Glaubens verzeichnet, trat er Ende 1886 zum protestantischen Glauben über. Die Universität verzeichnete jetzt offiziell Ferdinand Bronner, ev. AB (Augsburger Bekenntnis).
Enttäuschend die Zeremonie. War die Taufe eines Juden Jahrzehnte zuvor noch ein groÃes Ereignis, so war es nun eine schmucklose, sachliche Aktion, vom Vikar der protestantischen Kirche um die Ecke.
Warum eine christliche Religion? Warum gerade das Luthertum? Seit Luther, der von Anbeginn die »Bekehrung« der Juden zum Christentum forderte und sie später massiv diskriminierte, pflegte es einen nicht minder heftigen Judenhaà als die katholische Kirche. Aber es gab auch die Haskala, die jüdische Aufklärung gegen die jüdische Orthodoxie, und es gab Lessing, Schiller und Mendelssohn, die im deutschen Protestantismus eine groÃe Rolle spielten.
Eine neue Identität. An die Stelle der alten jüdischen Werte, die er zwar verinnerlicht hatte, aber nie pflegte, nun dieser symbolische Sprung in eine neue Welt. Auch eine neue physische, eine nichtbeschnittene Welt. Endlich war er diese levitische Reinheit los. Etwas beruhigte an der neuen Gewöhnlichkeit.
Ein Deutsch. Er hatte es geschafft. Der Weg für seinen Aufstieg war bereitet. Endlich würde er sich einen Platz in der Kultur erobern, den man ihm nicht mehr streitig machen konnte.
Weg mit allem, was âºundeutschâ¹ war! Weg mit Eliezer, Feivel abgehängt!
Ferdinand Bronner. Ein deutscher Name.
Umlernen: also tauft sie ihn Ferdinand.
So persönlich seine Entscheidung auch gewesen sein mag, sie spiegelt doch die antisemitische Tendenz jener Zeit, die immer mehr an Einfluà gewann. Er war nicht der einzige Jude, der konvertierte. Die Universität war keine Zuflucht vor dem Antisemitismus, und jüdische Studenten wurden von nationalistischen Verbindungen attackiert, oft in Duelle verwickelt. Er konnte nicht einmal fechten.
Sie gibt ihre Hoffnungen ungern auf: Könnte dieser Austritt aus dem Judentum nicht ein Resümee seiner Erfahrungen sein, fünfundfünfzig Jahre vor Auschwitz? Die Vorausschau, daà es noch schlimmer werden könnte? Folge des seit 1885 von Schönerer etablierten Linzer Programms? Resultat der Judenhetze Luegers?
Sicher überinterpretiert. Er will vorankommen, so sieht es aus. Malt sich die Welt in neuem Gewand.
Er hat sich eine neue Verfassung gegeben. Ãber das Judentum muà er in seiner Biographie kein Wort verlieren.
Endlich ist er im österreichischen Zustand.
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15. Deutsche Dichter
Realistische Selbsteinschätzung war nicht seine Stärke, und so bekannte er sich, kaum hatte er ein paar Gedichte verfaÃt und den Juden abgestreift, mit Stolz zum Dichterkreis. SchlieÃlich begann er 1886 mit der Arbeit an einem Bühnenstück Der Antisemit , einer Vorstufe zu Schmelz, der Nibelunge .
Ich sehe ihn, wie er ohne Hast an den Adelspalästen vorbei zum Literatencafé Griensteidl gegenüber der Hofburg geht, um seine Kollegen aufzusuchen, eine Gruppe mitteilungsbedürftiger Männer um den Dichter Fercher von Steinwand geschart.
Fercher, ein imposanter, Ferdinand »an Schiller erinnernder Typ« mit mächtigem, von gelocktem, schwarzem Haar umwallten Kopf, gewölbter Stirn, scharfer Adlernase, tiefliegenden, feurigen Augen. Ein nationalistischer Dichter, dem, wie den meisten der Runde, der groÃe Erfolg versagt blieb. Aber eine lokale GröÃe. Er engagierte sich für die Förderung und Pflege der Sprache.
Viele Abende des Trinkens und Redens verbrachte Ferdinand mit diesen rituellen Zusammenkünften, mühte sich in der Konversation mit ausgefeilten Epigrammen und bewunderte die Eleganz sprachlichen Ausdrucks, wie sie Fercher von Steinwand beherrschte. Endlich gab es einen Ort, an dem eine »höhere Sprache« gesprochen wurde, und Menschen, die dies »mit Geistesmitteln« verteidigten. Der Ort einer aufklärerischen Bildungsidee.
Ferdinands Zitate aus der althochdeutschen und mittelhochdeutschen Literatur, deren Werke er streckenweise auswendig konnte, sein Fundus aus der griechischen und
deutschen Klassik hatten neue Liebhaber gefunden. Wahre Worte sind lebendige Wesen , verkündete er,
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