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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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ein Byron-Zitat. Er begeisterte sich für Sprichwörter der Akan und liebte Haikus.
    Jeder seiner Sätze ein Lesezeichen.
    Es ging bei diesen Treffen nicht unbedingt um literarische Diskussionen, wichtig waren die Gespräche, das Dazugehören, das geistige Zuhause. Ferdinand erlebte durch Fercher eine väterliche Welt, wie er sie noch nicht gekannt hatte.
    Ich stelle mir vor, wie sich Ferdinand in seinem neuen, grauen Anzug mit grauweiß gemusterter Weste, durch den Unterricht bei den Töchtern des Bankiers Silbiger erstanden, kerzengerade hält, im Bewußtsein, ernsthaft und doch künstlerisch zu wirken. Man sollte sehen, daß er ein aufstrebender Literat war, deshalb schmückte ihn sein Zylinder, der ihn bei jedem Ausgang begleitete. Sobald er das berühmte Café betritt, nimmt er den Hut ab, und der Pianist unter seiner grünbeschirmten Lampe hebt leicht das Gesäß, neigt den Kopf und läßt zur Begrüßung ein Wagner-Motiv erklingen.
    Ferdinand wirft einen prüfenden Blick in den großen Wandspiegel neben der Garderobe. Ein gutaussehender, getaufter, schlanker Germane mit blaugrauen Augen, bartlosen Zügen und seitlich gescheiteltem blonden Haar geht, den Zylinder in der Hand, gemessenen Schritts auf den Stammtisch zu. Weginszeniert jede Spur von Judentum. 
    Er grüßt ehrerbietig Georg von Schönerer, den Führer der Alldeutschen Vereinigung, der Hof hält, und wechselt mit ihm ein paar Worte. Schönerer hatte zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Schulvereins gehört, der die deutsche Bevölkerung in den Gebieten Österreichs mit dem Bau von Schulen unterstützte. Gerade war er aus
Protest ausgetreten, da der Schulverein auch Juden aufnahm.
    Möglich, daß es zu einem kleinen, flapsigen Dialog kommt.
    Jovial schlägt Schönerer Ferdinand auf die Schulter.
    Ferdinand ist auf der Hut. Schönerer ist ein Judenhasser.
    Ferdinands Gelassenheit im Umgang mit Judenhassern gehört zu den Rätseln, die sie zu lösen hat. Sie nimmt an, daß er ein guter Selbstdarsteller war. Zwischen dem früheren Eliezer und diesem selbstsicheren Mann sollte kein Zusammenhang mehr bestehen.
    Mit einer Verbeugung verabschiedet er sich bald und weist auf seinen Dichterkreis. Aha, Jung Wien! Sie sind entlassen, lieber Bronner.
    Ein widersprüchlicher Geist. Schönerer verfügte über ein Vermögen und stellte auf seinem Gutshof sechzig Leute, vorwiegend Ehepaare ein, für die er ein Spital – ein Altersheim – unterhielt, setzte sich im Reichsrat für Kranken- und Altersversicherung für seine Schützlinge ein und kümmerte sich darum, die langen Schulwege der Kinder auf dem Land besser zu organisieren. Sogar eine Suppenanstalt hatte er im armen, überwiegend von Ungarn, Tschechen, Polen und Serbokroaten bewohnten Waldviertel gestiftet, damit die Kinder im Winter etwas Warmes zu essen bekamen und einen Aufenthaltsraum hatten.
    Wenn Ferdinand die Hand hob und kleine Verbeugungen andeutete, um seine Runde zu begrüßen, schien er tatsächlich ein anderer. Seine Haltung war souverän.
    Einen Meister der Verstellung, nennt sie ihn, einen Voyeur seines Selbst. Immer sah er sich beim Leben zu, als stünde er außerhalb seiner selbst.
    Fercher von Steinwand erhob sich und schloß ihn in seine Arme. Er nahm zwischen Hermann Bahr, vorübergehend in Berliner Dichterkreisen zu Hause und gerade zu Besuch in Wien, und Rudolf Steiner Platz, der für ihn die unsichtbare Krone in dieser Gemeinschaft trug, ein äußerst eigenwilliger Mann, mit dem ihn nicht nur die einfache Herkunft verband. Sein Vater war zunächst Förster bei einem Reichsgrafen gewesen, und Rudolf Steiner, der dank eines Stipendiums an der Technischen Hochschule Mathematik und Naturwissenschaften studierte, hatte sich bereits in der Grundschule mit Lehrbüchern selbst Wissen angeeignet. Ein Autodidakt, und beileibe kein professoraler Typ. Mit kleiner Brille und Hängeschnauzer, bezeichnete er alle, die Nietzsches Ausspruch »Nichts ist wahr, alles ist erlaubt« abtaten, als kleinliche Geister und führte Ferdinand früh auf geheime okkulte Pfade. Parallel zu seinem Studium gab er die naturwissenschaftlichen Schriften Goethes heraus.
    Steiner arbeitete mit Fercher zusammen, für dessen Kurse zur dramatischen Kunst – ob in Schulen, Fabriken oder Gefängnissen – er anthroposophische Sprachimpulse lieferte.

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