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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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spielte, auf dem Altenteil saß, sein Gnadenbrot aß und den man nur widerwillig Kritiken, hauptsächlich aus Westberlin, schreiben ließ – »ein Mann, der sich verkauft hatte«.
    Das heißt auch, überlege ich laut, wenn du Arnolt liebst und er seinen jüdischen Vater haßt, gehört dieser Vater automatisch zu jenen, die du nicht magst.
    Erfaßt. Sie gab mir ein mitleidiges Lächeln und hielt meinen Blick aus.
    Eine ungute Minute.
    Nun, sage ich, wie ist das heute?
    Sie warf mir einen unerbittlichen Blick zu.
    Andere können von mir aus Juden mögen, sagt sie, ich muß das nicht tun.
    Sie schlägt die Zeitung auf.
    Renate bleibt im Café, um zu lesen. Sie verabschiedet sich wortreich: Am Nachmittag will sie Richtung Linz zurück, um im Mühlviertel die »Sommerfrische« zu verbringen.
    Zum Abschluß erzählt sie einen jüdischen Witz. Ich lache nicht.
    Â 
    * * *

14. Ein Deutsch
    Der Großvater bewegte sich nun lange genug in Wien, um den österreichischen Antisemitismus und seine Rituale der Ausgrenzung zu kennen und zu ahnen, daß daraus nichts Gutes erwuchs. Die Wiener Universität war ein antisemitisches Wespennest, eine Brutstätte der Hatz.
    Wenn auch die Juden das kulturelle Wien ganz in ihren Händen hielten – sie trugen das Musik- und Theaterleben, saßen im Reichsrat und waren Offiziere –, hatte er wohl einen lähmenden Druck gespürt, den er loswerden wollte, den Druck des mosaischen Glaubens, der widerstandsfähiger war, als er gedacht hatte.
    Er war leicht als Jude zu identifizieren. Ein Teil seiner Freunde in Wien stammte aus Bielitz, seine Herkunft war also kein Geheimnis. Dennoch versuchte er, das Wissen auf einen kleinen Kreis zu beschränken. Kaum hatte er einigermaßen in Wien Fuß gefaßt, veröffentlichte Theodor Herzl, Gründer des Zionismus, sein Buch Der Judenstaat und wollte dem versessenen Österreicher beibringen, daß er nie Österreicher sein werde, sondern für immer einer gesonderten Nation angehöre. Der beliebte Wiener Bürgermeister Karl Lueger entfachte, unterstützt von der katholischen Kirche, in der österreichischen Hauptstadt die erste antisemitische Massenbewegung.
    Ferdinand besaß inzwischen einen sicheren Sinn dafür, daß es galt, an all dem vorbeizuziehen. Aber wie?
    Eine neue Richtung einschlagen. Erst wenn er die mosaischen Gesetze aufkündigte und sich dem christlichen Glauben anschloß, würde er ganz dazugehören. Noch
keine zwanzig, träumte er davon, im Deutschtum aufzugehen.
    Damit war er keineswegs alleine, sondern lag voll im Trend.
    Das Ganze sollte ohne größere Emotionen und zügig vonstatten gehen. Doch den Universitätsmatrikeln ist zu entnehmen, daß er zwei Semester lang nicht eingeschrieben war. Er quälte sich ein halbes Jahr mit der Entscheidung. Hungerte, da er die für die Studiengeldbefreiung notwendigen Kolloquien nicht absolviert hatte, und wohnte im Studentenheim des Asylvereins der Universität in der Porzellangasse. »Dieses Studentenheim war eine segensreiche Einrichtung und hat so manchem armen Teufel aus der Provinz erst das Studium ermöglicht.« Es stand unter der »Patronanz« des Leibarztes des Kardinal-Fürsterzbischofs von Wien und hatte »demgemäß eine stark konfessionelle Note«. Drei Studenten teilten sich jeweils ein Zimmer; man besuchte sich gegenseitig und pflegte gesellige Zusammenkünfte. Beileibe kein Armenhaus, bemüht er sich deutlich zu machen, sondern »für mich eine gute Schule, die Psychologie der Massen zu studieren«. Material also für seine Bühnenstücke?
    Er wohnte mit einem Studenten aus dem Böhmerwald und einem Siebenbürger Sachsen zusammen, der einen Selbstmordversuch unternahm, indem er von Zündhölzern den Phosphor abkratzte und die Lösung trank.
    Täglich, Punkt zwölf Uhr, fand sich Eliezer an der Freistätte zum Mittagstisch ein und aß die Suppe der Armen. Er saß am gescheuerten, langen Tisch zwischen kranken, obdachlosen, verwaisten und mittellosen Studenten und fühlte sich deplaziert.
    Religiöse Krise, mosaische Melancholie? Assimilationsschmerz? Angst vor dem Verlust seines Lebenszusammenhangs? Wer war er, wenn er seine Vergangenheit löschte?
    Vielleicht hat dies mit seinem Vater zu tun, denke ich mir, seiner Rebellion gegen die Vaterreligion und die Autorität der

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