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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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an und holte sich beim Philosophen-Unterstützungsverein unentgeltliche Speisemarken, um an Freitischen zu essen.
    Dennoch, sein Geld schrumpfte. Nicht ohne Ironie schildert er seine zahlreichen Begegnungen mit potentiellen Brötchengebern, nicht ohne Witz beschreibt er seine Gutgläubigkeit. Da fiel ihm eine Familie ein, die von Bielsko nach Wien gezogen war, und er ergatterte den Auftrag, dem Sohn des Hauses, einem verkrachten Gymnasiasten, der aus mehreren Anstalten hinausgeflogen war, Privatunterricht zu erteilen. Er sollte täglich abends zwei Stunden kommen und statt Geld ein Abendessen erhalten.
    Er zwang sich, das Angebot mit einem Lächeln anzunehmen, schließlich mußte er sich irgendwie ernähren. Über diese Familie erhielt er einen Posten bei der gutsituierten Familie Silbiger im vornehmen Döbling, wo er die Töchter in Kalligraphie unterrichten sollte. So wanderte Ferdinand täglich zu Fuß von der Josefstadt nach Margarethen und von Margarethen zur Universität und von der Universität nach Döbling zur Familie Silbiger, deren Umgangssprache Italienisch war.
    Anderntags frühmorgens, als Renate noch schläft, unternehme ich diese Wanderung, keineswegs ein kleiner Spaziergang. Obwohl ich es liebe, durch Städte zu laufen, um sie mir zu erschließen – mir reicht schon die eine Strecke, und das Ganze machte er täglich zweimal! Besiegt fahre ich von Döbling mit dem Taxi zurück.
    In kurzer Zeit beherrschte er die italienische Sprache, las Dante im Original und übertrug die Göttliche Komödie in Terzinen. Und da es nun mal seine Pflicht war, Bildung zu erwerben, nahm er auch das vergleichende Studium der provenzalischen, spanischen, portugiesischen Sprachen auf, entschlossen, sich mit der Welt des Südens enger zu verbinden.
    Er war auf soziale Anerkennung aus, um das Gefühl der Minderwertigkeit zu sublimieren. Kein entwurzelter Ha
benichts, sondern ein Erwählter in Sachen Wissensaneignung wollte er sein, der sich an Goethe maß. Doch das Ganze hätte keinen Sinn gehabt, hätte er nicht das Talent dazu besessen.
    Prägende Erfahrungen vermittelten ihm wohl seine neuen wohlhabenden und kunstsinnigen Arbeitgeber, das stachelte seinen Ehrgeiz an. Im Haus Silbiger gab es für Eliezer Gratisvorstellungen wie im Theater. Der Portier trug Goldlitzen um seine blaue Mütze. Die Hausmädchen mit weißen Hauben wedelten mit weißen Tüchern über Büsten und Palmen. Der Diener trug die silbernen Schüsseln mit Glacéhandschuhen auf und rief den Hausherrn zum Telefon. Es gab fließend Wasser, heiß und kalt, aus silbernen und goldenen Hähnen. Ein mächtiger Glanz ging von allem aus, prachtvolles Geschirr und ziselierte Gläser leuchteten in den Schränken, vornehme Gäste thronten in den behaglichen Zimmern. Es gab ein Musikzimmer, ein Herrenzimmer, einen Spieltisch und eine erlesene Bibliothek mit dunklen Eichenschränken und geschliffener Glasfront. Die Hausgewänder der Dame des Hauses, Alexandra, waren ägyptischer Herkunft wie ihre schöne Trägerin, und der bescheidene Hauslehrer lernte Schauspieler, Musiker und Dichter kennen, mit denen er sonst nie in Berührung gekommen wäre.
    Beim Frühstück malen Renate und ich uns aus, wie das Leben Ferdinands aussah. Das Hauslehrertum bei begüterten Familien wie den Silbigers, dem aufwendigen Haus des Ophtalmologen Ludwig Mauthner oder die Großzügigkeit bei den van der Leedens brachte ihn mit einer gebildeten Schicht des Großbürgertums zusammen, die ihm half, sich der deutsch-österreichischen Kultur anzunähern. Sie hatten Villen und besaßen Pferde, sorgten für eine gute Ausbildung ihrer Kinder, und abends wur
den die Kerzen zu beiden Seiten des Klaviers angezündet. Sie fuhren im Zweispänner, gingen auf Feste und gaben Einladungen, besuchten Theaterpremieren und Konzerte, und wenn sie im Abteil Erster Klasse in die Sommerfrische nach Bad Ischl, Altaussee oder Gmunden fuhren, nahmen sie Eliezer mit. Hier kam kein Gedanke an Judentum auf, hier gab es nur eine gemeinsame Kultur.
    Mit Wohlgefallen saß er in geräumigen Eßzimmern, betrachtete die alten Stiche und Gemälde an den Wänden und hielt sich kerzengerade auf dem Louis-Seize-Stuhl am mit einer weißen Damastdecke bedeckten langen Mahagonitisch mit den geschwungenen Beinen. Er aß von Porzellan, trank aus hochstieligen Gläsern

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