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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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Spätburgunder, lernte reiten, verbrachte Abende in der Bibliothek. Ihn ärgerten die adrett gekleideten Jungen und Mädchen, die am Essen herummäkelten, wenn er an das Elend zu Hause dachte und was es für ihn bedeutete, sich die Schuhe neu besohlen zu lassen, aber er zeigte es nicht. Ein Oppositioneller war er nicht.
    Eliezer, könnten Sie so freundlich sein, auf den Kleinen aufzupassen?
    Eliezer, sind Sie so liebenswürdig, mir meine Schuhe beim Schuster abzuholen? Irma hat heute Ausgang.
    Liebster Eliezer, seien Sie so gütig und holen Sie mir in der Apotheke meine Arznei, mir ist nicht wohl.
    Wenn man ihn um solche Gefälligkeiten bat, fühlte er sich mißbraucht. Großer Gott, dachte er wohl, jetzt haben sie so viele Dienstboten und mich stellen sie auch noch an!
    Er reagierte überrascht, wenn man ihn fragte, wie es ihm ginge. Nos numerus sumus et fruges consumere nati, antwortete er, seinen Lieblingsdichter Horaz zitierend. Er wurde rot, wenn man ihn nach seiner Meinung zu einem
Theaterstück fragte, und war beschämt, als er ein Buch mit Gedichten geschenkt bekam. Es war ihm fast peinlich, beschenkt zu werden.
    Dennoch nahm er mit, was er sich aneignen konnte. Er lernte, wie man Spargel oder Fisch aß und Damen mit Handküssen und Blumen entzückte. Er versuchte, sich elegant zu kleiden, und sparte sich das Geld dafür von seinem schmalen Hauslehrersalär ab. So durchlief er, was Habitus, Lebensweise, aufklärerische Bildung und Kultur betraf, einen erfolgreichen Erziehungsprozeß. Die Reste seiner Provinzialität und kleinbürgerlichen Herkunft schwanden, er trug eine neue Selbstsicherheit zur Schau. Er wollte gefallen und wirkte auf andere mitunter arrogant, die Überheblichkeit des Emporkömmlings.
    Eliezer, mögen Sie eine Zigarre?
    Eliezer, kann ich Ihnen mit dem Rock meines Mannes eine Freude machen?
    Ihn düpierte ein Überhang an Intimität. Stand es ihm nicht zu, Distanz zu wahren? Aus der Lage des Abhängigen, mit Brosamen Bedachten kam er nur heraus, wenn er seine Würde behielt.
    Er sägte doch nicht am eigenen Ast – er wollte hinauf zum Wipfel!
    Eliezer, wir haben noch ein Opernbillet. Wenn Sie uns die Freude machen wollen …
    Ich danke sehr. Ich will Sie nicht kränken, aber heute geht es leider nicht.
    Also ich hätte die Karte mit Handkuß genommen, sagt Renate trocken.
    Als ich Renate von Ferdinands Monarchiebegeisterung erzähle, finde ich Resonanz und entdecke, daß hinter der lange Jahre zur Schau getragenen Sozialistin auch eine Monarchistin steckt. Sie erzählt mir vom Begräbnis à la
pompes funèbres ihres Vaters, da lag er im Sarg in seiner glänzenden Uniform, in weißen Satin eingebettet wie eine Devotionalie, neben dem Sarg schritten die Offiziere im Stechschritt des österreichischen Militärs, die Kapelle spielte »Ich hatte einen Kameraden«. Renate ist in seltsam aufgeputschter Stimmung, ihre dunkelbraunen Augen sind weit geöffnet, ihr haselnußbrauner Pferdeschwanz, mit einem Schnippgummi zusammengehalten, der der Achtundachtzigjährigen etwas Kesses gibt, wippt: Ich sehe ihr an, daß sie immer noch stolz auf ihre kakanische Herkunft ist.
    Aber das ist erledigt, sagt sie energisch und schickt der ganzen k. & k. Monarchie ein sozialistisches »Pff« nach, es lebe der Kommunismus! Ich halte mich an die Gegenwart! (was nicht mehr ganz stimmte).
    Jetzt geht mir auf, was meinem Vater an ihr gefiel. Sie hatte ihre Gewißheiten und ließ sich ihrer nie berauben, lebte intensiv im Hier und Heute. Ihr grandioses Vermögen, Erfahrungen zu machen und kurz und bündig mitzuteilen; Fraglosigkeiten, über die sie verfügte, für die sie mein zwiespältiger Vater bewunderte.
    Erzähl weiter, sagt sie.
    Der Umgang mit den wohlhabenden Familien stärkte sein Gefühl, ein Deutsch-Österreicher, ein »Deutsch«, ein Habsburger zu sein, und es beglückte ihn ebenso, den Kaiser wie Bismarck zu sehen. Am liebsten beide Hand in Hand, und er geriet ins Jubeln, wenn er bei einem Schützenfest die preußische, die deutsche und die österreichische Flagge einträchtig nebeneinander flattern sah. Er war begeistert, als er auf einer kurzen Reise mit der Familie Reichstein, deren Kindern er Nachhilfeunterricht gab, in Bad Ischl Kaiser Franz Joseph entdeckte. Ihn faszinierte die bürgerliche Schlichtheit, mit der sich
der hohe Herr

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