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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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Ferdinand.
    Bald hielt er brieflich um sie an, doch die Eltern verhehlten ihre Besorgnis nicht: ein mittelloser Student ohne Vermögen und ohne Aussicht auf Familiengründung? Erst einmal wollten sie ihn kennenlernen. Auch er hielt es für richtig, daß ihre Beziehung innerhalb der traditionellen Grenzen des Verlöbnisses blieb. Doch er ging noch weiter. In einer kleinen Stadt wie Wolgast sollte seine Verlobung unbedingt geheim bleiben. Eine zu große Intimität nach außen war keinesfalls angebracht.
    Er beschloß: »Für die Leute in Wolgast bin ich dein Vetter aus Wien.«
    Sie verharrt eine Zeitlang über den Blättern der Erinnerung regungslos.
    Sein Leben sollte weitergehen wie bisher. Auch das Eindringen einer zweiten Person durfte den Ablauf seines Lebens
nicht stören. Das war Teil seiner Strategie. Würde das nicht zu Konflikten führen?
    Sie begreift, daß er seine spätere Frau von Anfang an verriet.
    So fuhr er, nachdem Martha auf seinen Wunsch hin ihre Stelle aufgegeben hatte und nach Hause gefahren war, zu ihr nach Wolgast an der Peene und traf auf eine andere, heile Welt. Eine bürgerliche Familie. Es beruhigte ihn, daß sich das Haus von den anderen in Wolgast nicht abhob. Es war bescheiden und schmucklos. Das Zimmer, in dem er schlief, war Marthas Kinderzimmer, die zusammen mit ihrer Schwester nebenan nächtigte.
    Sie unternahmen Spaziergänge und Bootsfahrten. Vom Garten hinter dem Haus führten ein paar Stufen zur Peene, die mit einem Arm der Oder verschmilzt. Am schmalen Kai lagen die schwarzen Oderkähne, mit denen sie den Fluß entlangfuhren.
    Marthas Vater, in jüngeren Jahren Schiffsbaumeister, als noch die Segelfahrt gedieh, hatte zur Zeit der Dampfschiffe seinen Beruf aufgeben müssen und arbeitete in einer Fabrik für Schiffszubehör. Er hatte sich etwas Gemessenes bewahrt, wie viele, die stundenlang den Blick aufs Meer gerichtet haben. Der riesige Mann mit dem Schifferbart sprach gern über die See, den Himmel voller Sterne und die Schwierigkeit, bei Wind und Wetter die Segel aufzuziehen, über Piraten, Schmuggler und Zoll. Er verteidigte den Freihandel, Streitpunkt zwischen Liberalen und Sozialisten. Was Ferdinand bereits vermutet hatte, stellte sich jetzt heraus: Marthas Vater war Anhänger der radikal linksliberalen Freisinnigen Partei, gegründet von Eugen Richter und dem von Kaiser Wilhelm I . als zu »rot« abgelehnten Franz August Schenk von Stauffenberg, und kämpfte leidenschaftlich für Ideale, die Ferdinand
insgeheim spöttisch als »altgermanisch« bezeichnete: für politische und soziale Freiheit, Verfassungsgarantien, Parlamentisierung der Monarchie, Trennung von Staat und Kirche.
    Durch Treitschke geschult, vertrat Ferdinand jedoch Bismarcks Schutzzollpolitik. Eine Bewährungsprobe für seine Beziehung zum zukünftigen Schwiegervater. Ferdinand war genötigt, seine Meinung bei sich zu behalten und politische Gespräche zu vermeiden.
    Er genoß die Sonntage. Alle saßen am Nachmittag um den Tisch, es gab Streußelkuchen und Kaffee, und nach einem andächtigen Schweigen begann gemächlich eine Unterhaltung, so unangestrengt, daß Ferdinand, der das nicht kannte, Lust hatte, zu plaudern. Wegen seiner lebendigen Geschichten und seiner kräftigen Stimme erweckte er in Marthas Brüdern Bewunderung und ein wenig Neid, weil er die Welt zu kennen schien.
    Der Schüler, zum Mann gereift. Aber wo käme es mit der Menschheit hin, wenn man der Sinnenlust und den Weiberlaunen freien Lauf gewährte? Erleichtert bemerkte er, daß die Wahl seiner Verlobten gefahrlos war. Diese Mischung aus Käthchen und Gretchen mit Erzieherinnenqualitäten war genau das Richtige für ein Familienwesen, wie es in seinem Kopf bereits feststand. Und die Familie Schelle verkörperte all das, was er sich zur Etablierung seiner deutschen Identität wünschte.
    In Gedanken legte er sein Leben fest. Das Sommersemester stand vor dem Abschluß, das Berliner Jahr ebenso, seine Geldmittel gingen zu Ende. Die Dissertation war zu schreiben, das Rigorosum abzulegen. Und es galt, Geld zu verdienen. In ein paar Jahren würde er heiraten, Kinder haben, Erfolg ernten, mit Martha nach einem erfüllten Leben in Ruhe alt werden und sanft entschlafen. Alles vorgezeichnet.
    Doch der Zugang zu seiner Familie blieb für Martha versperrt, und von seinem Vater erzählte er nicht.
    So wie die Dinge

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