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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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Einjährigenschule der Brigade befand.
    Losonc war ein noch kleineres Dorf als Kaschau, doch mit einem größeren Anteil an slowakischer Bevölkerung. Dort trudelte Ferdinand als letzter ein, bepackt mit Tornister und Gewehr, das er »kaum zu halten verstand«, stellte sich in Reih und Glied bei der Kompanie an und erhielt von allen Seiten die deutschen Worte der vorgeschriebenen Meldung souffliert. Die Kameraden waren erstaunt, als er seine Meldung in fließendem Deutsch vorbrachte.
    Er musterte seine neuen Kameraden in diesem »Schnellsiederkurs«, Slowaken, Magyaren, Deutsche und einige Juden, vereint durch die ungarische Sprache und ihre Vaterlandsliebe zur österreichisch-ungarischen Monarchie, und stellte fest, daß seine Uniform am miserabelsten saß. Die Hose hing am Hintern sackartig herab, spannte dafür am Knie, die Jacke warf zwischen den Schulterblättern Falten, und seine Mütze war etwas zu groß und fiel ihm immer wieder in die Stirn.
    Er neigte nicht zu widerspruchslosem Rekrutentum, und Befehle wie Essenfassen, Bettenmachen, Salutieren und Habachtstellungen hätten ihn beinahe zum Militärgegner gemacht. Seinen Kant im Tornister, hielt er dieses Habachtgebrüll für einen gründlich mißverstandenen kategorischen Imperativ. Hoffnung schöpfte er nur aus dem Gleichschritt. Während die anderen nachts im Schlafsaal ihren frischgebackenen Schlägergeist demonstrierten, blieb Ferdinand diesen Vorübungen im Kriegshandwerk fern, und der kämpferischen Gymnastik auf dem Exerzierplatz entkam er würdelos mit einem verstauchten Fuß. Nach dem Zapfenstreich lag er noch lange wach und fragte sich, ob ihn sein geistiger Unterbau für das Rekrutentum nicht vollkommen ungeeignet machte. Goethe, Nietzsche und Kant jedenfalls hatten ihn vollkom
men im Stich gelassen. Dennoch ist in jeder Zeile seine Identifikation mit dem Kriegshandwerk zu spüren; die Sinnfrage stellt er sich nicht.
    Kriegsspiele. Zwischen den Scheinschlachten saßen sie in ihren Bilderbuchuniformen vor einem Feuer unter den Bäumen, rauchten und rissen Witze. Krieg, wie ihn sich ein Kind vorstellt, das mit Bleisoldaten spielt. Manchmal, wenn sie in zwei feindlichen Truppen ins Unterholz schlichen, meinte er, bei den Pfadfindern zu sein. Beim geprobten Sturmangriff allerdings war zersetzendes Lachen verboten.
    Er nutzte jede Gelegenheit, um Ungarisch zu lernen. Der Jubel der heißblütigen Magyaren war groß, als es ihm nach wenigen Wochen gelang, ein Lied Petöfis halbwegs fehlerfrei nachzusprechen und nachzusingen, ein heimwehdurchsetztes Lied, in dem er sein eigenes Schicksal wiedererkannte.
    Den Nahkampf scheute er, da er Angst hatte, verletzt zu werden. Ein Draufgänger jedenfalls war er nicht.
    In größter Not, als er bereits unter Schlaflosigkeit litt, kam unerwartete Rettung. Das Kriegsministeriums gab bekannt, daß sich »zum Truppendienst minderbemittelte Einjährige« für die »Verpflegerbranche« melden sollten, für die man im Wiener Verpflegungsmagazin ausgebildet würde. Er meldete sich sofort, obwohl es keineswegs sein Ehrgeiz war, ein »Bäck« oder »Mehlstauber« zu werden. Der Wunsch, nach Wien zu kommen, erstickte seine Auflehnung über diese unmännliche Degradierung.
    Die Kaserne des Verpflegungsmagazin, ein klobiges Ziegelgebäude, lag am Donaukanal in der Oberen Donaustraße und umschloß außer dem Wohngebäude für die Soldaten, durch einen großen Hof getrennt, der als Exerzierplatz diente, auch die Militärbäckerei und eine Ge
treidemühle. Die Einjährigenschule für Verpflegeaspiranten war die einzige in der Monarchie, und junge Anwärter kamen hierher aus allen Teilen des Reiches: Deutsche und Magyaren, Tschechen und Polen, Kroaten, Serben und Slowenen, Italiener und Rumänen – reiche Kaufmannssöhne und dickschädelige Bauernsöhne, Kleinbürger und Dorfkinder. Etwa hundertzwanzig, nach Körpergröße in vier Züge gegliedert und auf vier Säle verteilt.
    Ferdinand genoß den Disput mit den leidenschaftlichen Nationalisten. In seinem Inneren blieb er den Menschen jedoch fern.
    Ob Deutschnationaler, Liberaler, Sozialist oder Zionist, ob Arbeiter oder Jurastudent – er beobachtete alle mit scharfem Blick, beugte sich nachts über seine Notizen und skizzierte kleine Szenen für ein zukünftiges Bühnenstück.
    Dennoch »schlich die Zeit

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