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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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geheimnisvolle Weise. Es riecht nach Büchern, dem Wachs auf dem Parkett der vollgestopften Vorlesungssäle.
    Das Studium muß damals eine aufregende Sache gewesen sein. Der Kontakt zu den Professoren war eng, es gab lebhaften Austausch und unter den Studenten viele private Zusammenkünfte.
    Für Ferdinand allerdings, wieder zurück in Wien, stand das Studium unter finanziellem Druck. Er legte das Thema seiner Doktorarbeit, Goethes Elegien, fest, stellte das Material zusammen, arbeitete morgens von acht bis zwölf, aß im vegetarischen Restaurant und schrieb bis mittags um drei Uhr, dann war es Zeit für seine Lektionen. Anschließend kehrte er an seine Arbeit zurück und schrieb, bis ihm der Kopf auf die Tischplatte sank.
    Jeden Tag trug er in sein Tagebuch ein, was er geleistet hatte:
    Â»Zeitungsschau. Vorlesung. Altes Museum: Holländer.
Germanistisches Seminar. Bibliothek. Vorlesungen. Studium Partitur Fidelio. Lektion. Lektüre: Keller, Leute von Seldwyla. Minor, Schiller. Im Vegetarischen: Diskussion am Abendtisch. Briefe von … Briefe an …«
    Nach zwei Monaten hatte er die Dissertation abgeschlossen und gab sie beim langbärtigen Sekretär Wolschan ab, der das handgeschriebene dicke Konvolut mit Kennerblick in der Hand wog: Schad um die viele Arbeit – kommt eh in die Leichenkammer, ins Archiv! Und er hüllte »das neugeborene Kind in einen hellen Umschlag wie in ein Leichentuch«.
    Die folgenden Monate gehörten der Vorbereitung auf die zwei Rigorosen, die er erfolgreich bestand. Da diese allerdings Geld kosteten, hatte er keines mehr für die Promotionstaxe, also mußte er die Promotion erst einmal vertagen.
    Die Reichsratswahlen standen an, und wenn er morgens am Neuen Rathaus vorbei zur Bibliothek eilte, begegnete ihm manchmal der schlanke, hochgewachsene Karl Lueger, Führer der christlich-sozialen Partei. Die Aktentasche unter dem Arm, ging er mit zielsicheren Schritten auf das Rathaus zu, um die Gemeinderatssitzung zu leiten. Die »Sandwichmänner« zogen mit riesigen Plakaten über Brust und Rücken durch die Stadt und kämpften mit ihren Werbeschriften um den »kleinen Mann«, dem nun auch das Wahlrecht eingeräumt wurde: Liberale, Demokraten, Sozialdemokraten und Deutschnationale auf der einen, christlich-soziale Antisemiten auf der anderen Seite, aber auch Juden gegen Christen. Ferdinand kam es eher wie ein sportlicher Kampf vor, den er naserümpfend betrachtete. Seine nostalgische Leidenschaft galt der bourgoisen Monarchie. Die Sozialdemokraten – die einzige Partei, die den Antisemitismus grundsätzlich verwarf –
lehnte er ab. Ihm, dem »Deutsch«, ging es längst nicht mehr darum, von ihnen Unterstützung für jüdische Interessen zu erwarten, sondern um eine nationale Gemeinschaft.
    Seine Haltung unterschied sich nicht von der seiner Zeitgenossen, die dem Nationalismus erst zur Macht verhalfen.
    Â 
    * * *

18. Pflicht
    Vor kurzem schickte mir Ellidas Sohn Friedl, der sich jetzt Fred nennt, aus Los Angeles ein Foto des Großvaters in der Uniform des Infanterieregiments, aufgenommen von der Fotografin Rosa Fenik in der Mariatreugasse Nummer sechs. Entschlossen blickt mich der Vierundzwanzigjährige unter seiner Mütze an; ein zarter Schnurrbart ziert seine Oberlippe. Ich halte es neben das Bild meines Vaters, als er 1915 mit zwanzig Jahren eingezogen wurde. Der Familienblick unter den Mützen, trotzig, entschlossen.
    Staatstreu wie Ferdinand war, paßt es ins Bild, daß er durchaus Sympathie für das Soldatentum empfand, und als er am 1. Oktober 1891 dem Einberufungsbefehl zur Ableistung seines Einjährigendienstes Folge leistete, kam ihm das Militär gerade recht. So konnte er guten Gewissens die Entscheidung zur Hochzeit vertagen.
    Er entschied sich für das ungarische Infanterieregiment, weil die Uniform die schönsten Kragenaufschläge hatte, auch die kessen Mützen waren die schmucksten. Das 65. Infanterieregiment war in Kaschau beheimatet, also ungarisch.
    So fuhr er über Pressburg und das malerische Waagtal an den paradiesischen Südabhängen der rötlich im Abendlicht erglänzenden Tatra-Kette vorbei zum entlegenen, einst deutschen, nun ruthenisch-magyarischen Städtchen.
    Der Feldwebel übergab ihm ein paar schäbige Uniformstücke, die mehr schlecht als recht paßten, und schob ihn nach Losonc ab, wo sich die

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