Meine Väter
lagen, konnte er nichts anderes tun, als auch Marthas Eltern auf seine Vettern-Version einzuschwören, die seine Rücksichtnahme auf ihre Tochter lobten. Skrupel hatte er dabei nicht. Nur so bestand die Möglichkeit, daà sein Vater â vorübergehend wieder mit der Familie in Dominikowice bei Görlitz vereint, wo er Arbeit als Leiter eines Sägewerks gefunden hatte â nichts von seiner Verlobung erfuhr. Er fürchtete Etiels Zorn und seine trotzige jüdische Selbstbehauptung. Soviel stand fest: Daà Etiel gegen jede Bindung mit einer Nicht-Jüdin, einer »Schickse« war.
Er reiste nach Dresden und begann von dort längs der Elbe eine gemächliche »FuÃreise« nach Prag über die geliebten Berge und durch kleine und gröÃere Städte, wobei er als erstes, eine neue Angewohnheit, die Auslagen der Fotografen studierte, den geschärften Blick auf »rassentypische Merkmale der Bevölkerung« gerichtet.
So früh, zu einer Zeit, als das noch gar nicht verordnet war, stieg er in die Niederungen der Rassenkunde hinab? War es die bevorstehende Hochzeit mit einer âºArierinâ¹, die ihn bereits darüber nachdenken lieÃ, was für ein Kind er wohl zeugen würde? Ein Rassengemisch aus Arier und Jude? LäÃt ihn der deutsche Blutkult schon jetzt nicht los?
Bereits während seiner Studienzeit hatte er sich intensiv mit Darwin beschäftigt, und schon 1879, als Primaner, leitete der Begründer der Rassenhygiene in Deutschland, Alfred Ploetz, einen Schülerbund, dem Carl und Gerhart Hauptmann angehörten, die sich unter einer alten Eiche schworen, ihr Leben der »reinen deutschen Rasse« zu weihen. Nun hatte Ferdinand Gobineaus ersten Band seines vierbändigen Werks Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen im Gepäck.
Dann trat Ferdinand seine Stelle als Erzieher der beiden Söhne eines deutschen Domänendirektors auf dem Gut Kvasney in der Nähe von Reichenau an und lernte in Windeseile Tschechisch.
Ihm gefiel es so nicht übel. Das mit der Heirat hatte Zeit. Doch die Träume Marthas hatten wohl anders ausgesehen, sonst hätte sie sich nicht verplaudert. So machte in Wolgast bald das Gerücht von einer miÃglückten Verlobung die Runde, und Marthas Familie forderte umgehend die Verehelichung, da Marthas Ruf dramatisch gefährdet sei.
Ferdinand befand sich in einem Dilemma. Erst als er Marthas Brief mit Tränenspuren erhielt, willigte er in die Hochzeit ein, unter dem Vorbehalt, zunächst nach Hause zu fahren und die Sache zu klären. SchlieÃlich wollte er ohne die Zustimmung seiner Eltern nicht heiraten.
Die Situation zu Hause war entspannt. Sein Vater, immer noch erstaunt darüber, daà ihm eine wichtige Arbeit zugefallen war, wirkte gefestigt. In der Umgebung von Görlitz waren reiche Petroleumquellen entdeckt worden, und das Sägewerk, dem der Vater vorstand, lieferte Bretter und Bohlen für die Gruben. So fand Ferdinand zufriedene Eltern vor und hoffte auf eine gute Stimmung für seine Angelegenheit. Vielleicht würde es doch nicht so schwierig werden.
Doch die Tage vergingen, und Ferdinand saà zu Hause über einem Buch, schrieb ab und zu etwas in sein Heft und gab auf alle Fragen ausweichende Antworten. Ãber Martha fiel kein einziges Wort. Die alte Angst vor dem Vater hatte ihn überkommen, stärker denn je. Denn nun ging es um Bruch mit dem Judentum und Heirat mit einer »Schickse«.
Bis eines Tages ein Brief kam, der nur die Adresse trug,
beschriftet mit kräftigen Buchstaben. Etiel öffnete ihn und hielt den Andruck der Heiratsanzeige in Händen.
Der Vater brüllte, die Mutter schlug die Hände vors Gesicht und weinte. Etiel richtete anderntags einen geharnischten Protest gegen die Verlobung nach Wolgast und erklärte den Heiratsplan für null und nichtig.
Als Ferdinand abreiste, tat er es kleinlaut, still und leise.
Sie stellt nur fest: Gekämpft hat er um Martha nicht.
Ich gehe die RingstraÃe entlang zum historischen Gebäude der Universität, in dem heute die Verwaltung untergebracht ist. Als Ferdinand hier studierte, war sie ein Neubau: Erst 1884 wurde sie vollendet, und seit 1897 durften auch Frauen studieren. Die älteste Universität Ãsterreichs und nach Prag die zweitälteste des deutschsprachigen Raums. Immer noch in gutem Zustand, gepflegt und frisch gestrichen. Die Atmosphäre konserviert auf
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