Meine Väter
»Jugendkultur und Jugendautonomie« hatte nicht nur ihn, sondern einen GroÃteil der Jugend und der Studentenschaft erregt, während ihn die k.â&âk. Regierung verbot. Zu Recht verbot, wie Ferdinand fand, der die neue, junge Männlichkeit kritisch betrachtete.
Getrieben von HaÃ, Eifersucht und Neid ging Arnold kurz vor der Einberufung, »eines Nachts, halb im Traum«,
mit einer Kerze zum Selbstporträt des Bruders, das gegenüber seinem Bett hing. Er habe, klagt er sich im Protokoll an, »es lange betrachtet«: »Und dann, als es den Blick nicht von Ihnen wandte, haben Sie ihm die Augen ausgebrannt. Man hat das Dienst-Mädchen beschuldigt und es entlassen. Sie haben geschwiegen.« (So seine Richter-Figur.) Er sieht sich als »Mensch ohne Bindungen, und Ihr Verhalten zu Ihrem Bruder richtet Sie bis in jene Wurzeln hinab, wo Menschen-Leben sich an Menschen-Leben knüpft und aus der Gemeinsamkeit seinen Sinn erhält.«
Er wuÃte, wofür diese Tat stand. Mord.
Rudolf hatte sich zum ersten Tiroler Kaiserregiment, das in Innsbruck stand, gemeldet und muÃte dort am 1. Dezember antreten. So brachte ihn Ferdinand am letzten Novembertag auf dem Westbahnhof zum Zug.
Er nahm sich zusammen und wirkte gefaÃt. Den Kummer, daà sein geliebter Sohn »endgültig seiner väterlichen Obhut entrissen« war, stellte er mit sichtbarer Mühe zurück. Das war er seinem Sohn schuldig. Für Rudolf gab es keinen Zweifel, daà er sein Ziel als Künstler und Mensch verfehlt hätte, wäre er an der Teilnahme am Krieg ausgeschlossen.
Die Begleitung der Mutter hatte sich Rudi aus Angst vor einem tränenreichen Abschied verbeten. Sie hätte ihm den glückhaften Tag, der seinen sehnlichsten Wunsch endlich erfüllte, nur verdorben. Ein trüber, nebeliger Tag, an dem sich schlieÃlich die Freude Rudolfs auf den Vater übertrug, und herzlich drückten sie die Hände zum letzten Abschied. Ade! sagte Rudolf mit leuchtenden Augen, in drei Monaten bin ich wieder bei euch!
So schieden Vater und Sohn heiter voneinander, als Rudolf den Zug bestieg, bis obenhin angefüllt mit empha
tischen Grünlingen, die zum Teil aus Ferdinands Schule stammten. Ferdinand war es zufrieden, daà er die Jungen ganz im vaterländischen Sinn erzogen hatte.
Zögernd und ruckelnd fuhr der Zug an, als kämen ihm Bedenken, diese fröhlichen jungen Männer dem Tod entgegenzufahren.
Nun also auch Arnold, sagte Martha mit Stolz und Bedauern. Der Abschied von Arnold ging über ihre Kräfte.
Die Wohnung würde kahl, kalt und traurig sein.
Am Tag, als er beim Militär antreten muÃte, kam Arnold mit schneidigem Schritt in die Küche und lüftete vor dem Vater die flotte Mütze. Von Gustav Wynekens Aufsatz Der Krieg und die Jugend inspiriert, in dem der Krieg als eine Sache der Jugend deklariert wurde, blickte Arnold dem optimistisch entgegen. Das Ergebnis, glaubte er, würde ein neuer, junger Staat sein, der endlich die Alten abserviere und in den er all seinen Idealismus hineinlegen könne.
Wyneken beeinfluÃte die Jugend mit seiner Kriegseuphorie â in der Vorform des Protokolls nennt Bronnen sie später eine »Nationalhysterie«. Wyneken, der den »pädagogischen Eros« pflegte und wiederholt die Bekanntschaft Stefan Georges gesucht hatte, war der geistige Vater der Landschulheime und errichtete das erste Heim in Wickersdorf. Er wurde als Leiter dreimal wegen des Verdachts auf Homosexualität entlassen, und es ist anzunehmen, daà er auch Arnold adorierte. Von einer homosexuellen Beziehung allerdings hätte Bronnen in seinem Protokoll wohl ohne Umschweife berichtet. Seine erotischen Gefühle konzentrierten sich mehr auf den schönen Siegfried Bernfeld.
Ferdinand überlieà es Martha groÃzügig, Arnold zum Zug zu bringen, um ihrem Schmerz zu entkommen. Er
wollte ihren Tränenschwall nicht sehen â für derlei Sentimentalitäten hatte er wenig übrig.
Eine Zeit ohne Arnold würde ihr guttun. Was ihn betraf, so war er vielleicht sogar froh, wenn Arnold für eine Weile nicht im Hause war, und sah den Tagen ohne dessen abweisende Miene mit Behagen entgegen.
Rudolf, inzwischen als Kadett in ein kroatisches Regiment versetzt, sandte Arnold eine kleine Glückwunschkarte zu seiner Assentierung, die mit dem lakonischen Satz endete: Auf Wiedersehen im Massengrab.
Den Mai 1915 verbrachte Arnold in
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