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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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vernichtet wurden, schmolz die Kruste und enthüllte den Schmerz.
    Den ganzen Tag, so Rudis Kamerad, waren sie auf den Dnjestr zu marschiert, neben den Straßen verzweifelte Verwundete, die sie warnten, nicht weiterzugehen, auf sie warte der Tod. Sie rückten vor, sandten Patrouillen aus, stellten Posten auf und legten sich schlafen.
    Vor dem Morgengrauen rückten sie aus. Ein baumloses, sanft ansteigendes Gelände, das keine Deckung gewährte, die Kugeln pfiffen um ihre Köpfe. Das Heer arbeitete sich bis auf Sturmdistanz vor. Die Russen ergaben sich sofort. Rudis Bataillon besetzte die auf der russischen Seite des Dorfes befindliche Stellung und baute sie aus.
    Abends, nach dem Rückzug, wurde ihnen ein Bauernhaus zugewiesen, zwei Ferkel wurden eingefangen, es gab jede Menge Schokolade, Zigaretten und Wein, dann suchten sie ihre Schlafstätte auf.
    Sie waren noch nicht eingeschlafen, als Alarm gegeben wurde, Schüsse und russische Hurra-Schreie drangen an ihr Ohr, ein Überfall: Die Posten hatten in der Stellung geschlafen.
    Rudolf sei dabei verwundet worden, habe einen Lungenschuß davongetragen und sei wohl im russischen Feldspital bei Zlota Lipa verschieden, schrieb der Kamerad. Er selbst habe den Toten nicht gesehen.
    Immer wieder nahm Ferdinand die Karte mit der Todesnachricht zur Hand.
    Es war seine Schuld.
    Dennoch, solange er den Toten nicht gesehen hatte: ein Zweifel blieb.
    Nun drängte es ihn, seinen Ältesten zu besuchen, der gerade in Salzburg eine Ausbildung zum Offizier erhielt.
    Kann es sein, daß ihn sein Schmerz nun die Liebe zu Arnold entdecken läßt?
    Er fand Arnold »gut aussehend und gekräftigt« vor und freute sich, bei einer Übung im Gelände zu beobachten, »wie gut er seine Leute zu kommandieren verstand«.
    Dem Elternhaus entronnen, fühlte sich Arnold beim Militär wie befreit. Die Autorität des Vaters durch eine legale ersetzt. Hier konnte er endlich den sozialen Druck weitergeben, dem er von zu Hause her empfunden hatte. Außerdem mußte er zum ersten Mal in seinem Leben Stellung beziehen.
    Sie gingen gerade die Griesgasse entlang, als ihnen Hermann Bahr begegnete, der den Uferweg an der Salzach entlangspazierte, wie immer gepflegt und elegant, mit Stock und Hut. Seine Augenbrauen hingen über die Augen, der Backenbart reichte bis auf die Brust, und statt der Krawatte blitzte eine breite, seidene, dunkelrote Schleife aus dem Paletot. Er kondolierte Ferdinand und Arnold.
    Arnold, sagte Ferdinand, ist Kriegsfreiwilliger, und versäumte nicht anzumerken, daß auch er sich an die Front gemeldet hatte und bald wieder einrücken würde.
    Löblich, diese Vaterlandsliebe, sagte Bahr, im Hause des »Vaterland«-Dichters nicht anders zu erwarten. Wenngleich es entschieden vorteilhafter wäre, das Vaterland zu besingen und die Opfer von anderen bringen zu lassen. Was ja nicht einmal selten ist.
    Bahr lud ihn für den nächsten Tag zu sich ein, um das Gespräch fortzusetzen. Er wohnte in einem Kloster in Marsch bei Salzburg, in hohen und weiten Räumen, stilvoll ausgestattet. Ferdinand betrachtete andächtig die Gipsmaske seiner Gattin, der berühmten Wagner-Sängerin Anna von Mildenburg, postiert vor einer veilchenblauen Draperie, die eine Flügeltüre im Hintergrund verdeckte. Das alles konnte man haben, wenn man berühmt und angesehen war. Ein schöner, wohlsituierter, erfolgreicher Mann, Dichter, Germane, Christ.
    Bahrs verschlungener Lebensweg faszinierte ihn. Wo immer er auftauchte, sorgte er für Turbulenzen. Nach einem Engagement in der Alldeutschen Bewegung wurde er wegen seiner Trauerrede auf Richard Wagner von der Universität Wien ausgeschlossen, kurz darauf wurde ihm als engem Freund des Antisemiten Georg Ritter von Schönerer die Immatrikulation in Graz verwehrt. Er konnte in Czernowitz weiterstudieren, mußte aber auch diese Universität verlassen und ging nach Berlin. Sämtliche Moden seiner Zeit hatte er mitgemacht, hatte sogar ein Buch über den Antisemitismus herausgegeben und beschäftigte sich intensiv mit dem Frauenrecht.
    Solch Aktionen konnte man sich nur leisten, wenn man kein Jude war.
    Wie üblich legte sich Bahr sogleich auf seine Couch und
fragte: Wie denken Sie, Ferdinand, über die Lage unseres Landes? Doch wartete er erst gar nicht die Antwort ab, sondern fuhr fort: Die Rettung der Monarchie kann nur durch eine entschiedene Wendung in der Politik

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