Meine Väter
spürte, daà der Krieg kommen muÃte. Er muÃte kommen, weil ich ihn wollte. Er muÃte kommen, weil ich keinen anderen Ausweg sah (â¦) nie ist ein Krieg so herbeigesehnt
worden von unzähligen jungen Menschen, von Bürgers-Söhnen, die sich verwirrt hatten in ihrer Welt. Sie alle wollten, was auch ich wollte: ein Ende. Ein Ende dieser Zeit. Ein Ende ihres Lebens in dieser Zeit. Eine Lebens-Form hatte sich aufgebraucht.« Er schwamm »gedankenlos im Strom des patriotischen Wirbels« mit, »infiziert von Gerüchten, Gefühlen, Stimmungen«. Alles wurde für ihn »zu einer brutalen Gewalt«: »Der Staat, der Professor, die Familie«.
Auf der Hälfte des Weges weigerte sich Martha, an der Ellida hing, weiterzugehen. Die kleinen FüÃe machten nicht mit.
So kehrte Ferdinand mit Martha, Ellida und Günther um. Aber er gestattete Rudi und Arnold zusammen mit zwei geübten Bergsteigern zur Barmer Hütte am FuÃe des Hochgalls weiterzugehen.
Es wurde Abend, es wurde Nacht, von den beiden Jungen war nichts zu sehen. Endlich, es war schon Mitternacht, kamen die Jungen totmüde und wortkarg daher, hatten keinen Hunger und legten sich sofort ins Bett. Erst am nächsten Tag erfuhren die Eltern, daà sich die beiden beim Lenksteinjoch von den Bergsteigern getrennt und, auf eigene Faust, ohne Seil, den Aufstieg zum GroÃen Lenkstein unternommen hatten.
Auf dem Abstieg hatten Arnold Kräfte und Nerven verlassen. Ãber eine vereiste Rinne zwischen den Felsen, die an einem Schneefeld endete, das plötzlich abbrach und in einer steilen Wand in den Antholzer See mündete, sauste Rudi vor ihm, auf seinen Bergstöcken sitzend, ab. Arnold hingegen traute sich nicht und stapfte Schritt für Schritt hinab, schämte sich, weil er so lang brauchte: »Man muÃte sich gut in der Gewalt haben, um vor dem Schnee-Feld abzubremsen, denn auf dem schnellen, har
schigen Schnee gab es kein Halten mehr.« Angstbebend stieg er mit zitternden Knien in die Rinne, sauste herab, verlor den Halt, flog kopfüber in den Spalt und wurde von Rudi, der ihm entschlossen den Stock entgegenstemmte, abgefangen. Es war ein groÃes Risiko für Rudi, denn Arnold hätte ihn mitreiÃen können.
Erst viel später erfuhr Ferdinand, was das eigentliche Motiv für ihren gefahrvollen Aufstieg gewesen war. Die beiden Kriegsbesessenen hatten vor, sich durch enorme Körper- und Geistesanstrengungen für den Krieg zu präparieren. Täglich absolvierten sie unermüdlich zu Fuà und mit dem Rad lange Strecken, machten gymnastische Ãbungen und stärkten sich mit erhebender Lektüre.
Ãsterreich sollte stolz auf sie sein.
Nach der Kriegserklärung Ãsterreich-Ungarns an Serbien wurde 1914 zur Mobilmachung aufgerufen. Das Bild, das die Stadt Wien bot, hatte sich verändert. Kriegerische Blasmusik ertönte auf den Plätzen, Fahnen wurden gehiÃt, Menschen gestikulierten aufgeregt.
Ferdinand besuchte nationale Versammlungen und stürzte sich in wilde Diskussionen, in denen er gegen die mit dem Sozialismus liebäugelnden Juden zu Felde zog.
In seinem Gymnasium fehlten die jüngeren Kollegen, und auf den Schultern der älteren ruhte eine gröÃere Arbeitslast, denn Ersatz für die fehlenden Lehrkräfte gab es nicht. AuÃerdem muÃten sie sich für neue Lehr-Verfahren präparieren.
Die Reihen der Schüler in den oberen Jahrgängen begannen sich zu lichten, da sich manche bereits freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatten. Ein Drittel der Maturanten fehlte. Nicht immer war patriotische Begeisterung im Spiel, sondern auch die Aussicht auf die von der Schulbehörde verheiÃene Erleichterung ihres Studienganges.
Für diejenigen, die brav ins Feld abgingen, setzten sogenannte Notprüfungen ein, bei denen ein Ãbermaà an schulmeisterlicher Nachsicht gefordert wurde. Für Ferdinand, der seinen Schülern Höchstes abforderte, eine Qual.
Wenn er seine Klasse betrat, tat er dies im tiefsten Gefühl nationaler Entschlossenheit. Die Klassen waren längst zum Abbild der Verhältnisse geworden. Keilereien zwischen Kriegsbefürwortern und Gegnern gehörten in den höheren Klassen zur Tagesordnung. Ob Geschichte, Erdkunde, Musik, alles wurde durchsetzt von nationalem Empfinden. Der Rektor der Schule war nach kurzem Pendeln vom Sozialisten zum Deutschnationalen eingeschwenkt. Die Schulbibliothek hatte
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