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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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wurde von Lueger vorgeladen, um seine Thesen mit ihm zu diskutieren. Asphalt und Scholle, Großstadt und Land, rotes Wien und altes Österreich, das waren die Gegensätze, die aufeinanderprallten. Den schwerkranken Lueger, der auf ihn eine faszinierende Wirkung ausübte, besuchte er zu Hause. Für ihn starb Lueger an Österreich und Österreich starb, weil dieser Mann in der entscheidenden Stunde fehlte.
    Hitler, damals noch ein unbekannter Kunstmaler, lernte in Wien den politisch gefärbten Antisemitismus kennen. Schönerer und Lueger hatten das Klima für ihn vorbereitet, und in der Stadt machte man sich mit Eifer ans Werk, Juden und die Wahlsieger, die Sozialdemokraten – die sich weiterhin mit den Zielen der russischen Revolution identifizierten und den russischen jüdischen Revolutionär Leo Trotzki nach Wien entsandten – gleichzusetzen und vor der Gefahr einer jüdischen Weltverschwörung zu warnen. Es gäbe keine Juden-, sondern Christenverfolgungen, hieß das neue Motto. Ferdinand hielt sich aus po
litischen Diskussionen heraus und bewegte sich in einem immer kleiner werdenden privaten Kreis.
    Im Juni 1914 fuhr er noch einmal nach Berlin, um Kontakte zum Theater zu knüpfen, mit geringem Erfolg. Um der aggressiven und schwülen Stimmung der Stadt zu entgehen, hatte er für den 28. Juni einen Ausflug auf den Kreuzberg geplant, in der Hoffnung, in seiner Höhe ein wenig Erfrischung zu finden. Er glaubte, der Kreuzberg sei so etwas wie der Wiener Kahlenberg. Doch »dieses Hügelchen konnte wohl kaum den Anspruch auf die Bezeichnung Berg erheben«. Er ging spazieren, als er plötzlich einer Gruppe von Menschen gewahr wurde, die sich wild gestikulierend um einen Baum scharte, an dem ein Anschlag hing. Er trat näher und las die Schreckenskunde vom Attentat in Sarajewo, dem der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin zum Opfer gefallen waren.
    Eine patriotische Stimmung erfaßte Berlin an diesem Tag, und bald ertönten im Lunapark statt der leichteren Weisen die österreichische und deutsche Nationalhymne, von der Menge mit Begeisterung mitgesungen. Zeitungsverkäufer verteilten Extrablätter. Aufgeregtes Treiben herrschte überall, junge Menschen kamen johlend und fahnenschwenkend auf ihn zu.
    Als Österreicher meinte Ferdinand, es würde wohl nicht so bald geschossen werden, auch in Wien glaubte keiner an den Krieg. Sein verehrungswürdiger Kaiser, der in einem spartanischen Feldbett zu nächtigen pflegte, würde dem Land den schweren Konflikt ersparen.
    So überhörte Ferdinand das Dröhnen der Geschütze vom nahen Artillerie-Übungsplatz auf dem Steinfeld und reiste mit seiner Familie in die Sommerferien nach St. Jakob in Südtirol. Arnold, der das Gymnasium in der Kloster
gasse im 18. Bezirk besuchte, wollte in Wien bleiben und schreiben, unbehelligt von der Vaterfuchtel. Doch Ferdinand bestand auf dem Ritual, weil das im bürgerlichen Wien eben Usus war: Anfang Juli war Sommerfrische angesagt, basta!
    Eine Sonnenfinsternis schien auf unheilvolle Ereignisse zu deuten. Mit geschwärzten Gläsern betrachteten sie mit den anderen Gästen vor ihrer Pension den Fortgang der Finsternis. Ein toter Himmel. Es war wie eine schreckenserregende Vision.
    Kurz darauf wurde der Krieg erklärt. Die Kaiser von Österreich und Deutschland hatten sich in der von Wagner vielbesungenen »Nibelungentreue« verbündet. Zwei Jahre später lag der österreichische Kaiser im Grab und mit ihm wurde die Monarchie beerdigt.
    Weg von der Untergangsstimmung, empor zu den Höhen! Andere Länder mochten auch Berge und Bäche haben, doch in Österreich sahen sie anders aus. Und selbst wenn man manchmal auf wunderliche Ansichten der Bergbewohner über Juden stieß, so trübte das Ferdinands Ferienstimmung nicht. Es war nur ein Aperçu im üblichen Sommerfrischeantisemitismus. Vielleicht lachte er mit und schlug sich auf die Schenkel in der Krachledernen.
    Sie sangen ein Wanderlied, als sie zu fünft zur Barmer Hütte aufstiegen. Die Wanderer, die ihnen entgegenkamen, waren voll Sorge, und »der Professor, von Natur aus gesprächiger Art«, so Bronnen, »erging sich mit jedem über die Welt-Lage« und war optimistisch: »Ein Krieg, in dieser Zeit! Bei unserer Kultur!« Die beiden Söhne lächelten über ihn. Bronnen im Protokoll : »Ich aber

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