Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
Vom Netzwerk:
Salzburg beim 59. Infanterie-Regiment und fühlte sich über den Bruder erhaben. »Ich hatte immer gewußt, daß von uns beiden nur einer überleben konnte, und das war der Grund, warum ich mich immer wieder gemeldet hatte, um unter gleichen Chancen zu bestehen.«
    Sollte Arnolds Versagen bei der Hochgall-Tour mit seinem »Sieg« wieder gutgemacht werden? Wünschte er tatsächlich Rudis Tod? Sind seine Eifersucht und sein Haß auf den Bruder so groß, weil Rudi die Liebe des Vaters besitzt?
    Â»Dies war kein Haß, kein Wett-Streit, kein Gefühl, denn zwischen mir und Rudi hatten nie wirkliche brüderliche Gefühle bestanden.«
    Ã„hnliches behauptet er vom Vater: nie hätte er in ihm den Vater gesehen.
    Er scheint an Haß und Entfremdung zu ersticken. Nimmt der Konflikt lebensbedrohende Formen an?
    Wie viele meinte Ferdinand anfangs, seinem Land ginge es darum, ein Verbrechen zu bestrafen, und er hielt es für einen österreichisch-serbischen Konflikt. Später fürchtete er, Serbien könne die Herrschaft an sich reißen und sein Reich würde zerfallen.
    Schon waren die Russen bis in die Nähe von Krakau vor
gedrungen, die Festung Przemyśl fiel, für Ferdinand »ein Trauertag«. Eine Woche später tröstete ihn Rudolfs Brief: »Durch den Fall Przemyśl seid ihr wohl alle verstummt, wir hingegen haben noch nie die ›Wacht am Rhein‹ und das Kaiserjägerlied so laut gesungen. Alle, Ungarn, Italiener, Kroaten sangen mit, am lautesten ein Rumäne.«
    Auch die kaisertreuen Juden in Galizien und der Bukowina drängte es nun zu den Fahnen. Der Verband der Deutschen Juden rief auf, ȟber das Maß der Pflicht hinaus« die Kräfte dem Vaterland zu widmen.
    Ferdinand saß Abend für Abend im Wohnzimmer und starrte in die Zeitung, während Martha alles tat, um das gewohnte Leben weiterzuführen. Sie kaufte ein, brachte Schuhe zum Schuster, flickte Ellidas Rock, und jeden Morgen fand Ferdinand die Zeitung auf dem Frühstückstisch. Abends war sie erschöpft. Das Licht löschte er früh, denn die Beleuchtung mußte eingeschränkt werden.
    Er las von beginnenden Plünderungen, Gewaltaktionen der Russen gegen galizische Juden, zerschlagenen Armeen. Wider Erwarten hatte Großbritannien dem Deutschen Reich, das die belgische Neutralität verletzt hatte, den Krieg erklärt. Damit waren neben Deutschland und Österreich auch Indien, Kanada, Neufundland, die Südafrikanische Union, Australien, Neuseeland und die britischen Kolonien mit von der Partie. Das japanische Reich verhängte ein Ultimatum. Die deutschen Kolonien verstrickten sich in lange Kämpfe. Dann wurden die Deutschen vor Paris geschlagen. Ein »beängstigendes Durcheinander«.
    Die ersten Kriegsweihnachten verliefen trostlos. Martha weinte, Ferdinand war niedergeschlagen, Ellida und Günther klebten an ihren Eltern. Geschenke gab es kaum.
    Vor diesem Hintergrund nahm Ferdinands Depression
einen neuerlichen Anlauf. Mehr denn je fühlte er sich fremd, herauskatapultiert aus seiner selbstgestalteten Biographie.
    Noch war keine fühlbare Verknappung der Lebensmittel eingetreten, doch die Mißerfolge an den Fronten warfen bereits ihre Schatten voraus. Mit dem Jubelpatriotismus war es bald vorbei.
    Privatstunden waren nicht mehr gefragt, literarischer Nebenerwerb fiel aus, an Schreiben war nicht zu denken. All seine Gedanken kreisten um den Krieg und das bedrohte Vaterland. Trost bot ihm, was er in Berlin von Treitschke gelernt hatte: daß es ohne Krieg keinen Staat gäbe. Der Sieg über Serbien, die Vertreibung der Italiener aus Albanien gaben ihm kurz Auftrieb.
    Beide Söhne waren im Krieg, und er wartete auf seine Einberufung. Die Verordnung, wonach die älteren Jahrgänge vom zweiundvierzigsten bis zum fünfzigsten Jahr eingezogen würden, erschien im Sommer. Ferdinand erhielt erneut seinen Grad als Militärbeamter und sollte Mitte Oktober mit fast fünfzig Jahren beim Militär-Verpflegemagazin in Wien einrücken.
    Wie Arnold stufte er den Krieg als »Zeitenwende« ein, als unmittelbare Folge der vorangegangenen Friedenszeit. So hatte er keine moralischen Bedenken und freute sich auf den Gleichklang marschierender Soldatenschritte, die Uniformität der Kleidung, das Unisono der Kampfeslieder wie auf eine Erlösung. Das hob nicht nur seine schmerzhafte Isolation auf, sondern verlieh ihm auch

Weitere Kostenlose Bücher