Meine Väter
eingeläutet werden. Ãsterreich muà ein Bundesstaat werden, der Dualismus hat sich längst überlebt und sich als groÃe Gefahr für den Bestand des Reiches erwiesen.
Widerwillig trat Ferdinand in das Gespräch ein. Er hatte soeben einen Aufsatz über die Stärkung des Dualismus durch die Einführung des Ungarischen an österreichischen Mittelschulen dem Wiener Tagblatt übergeben und erwartete jeden Tag dessen Erscheinen â diese Anschauungen wollte er nicht vorzeitig verschenken. So gab er nur knapp die Möglichkeit einer solchen Wendung in der Zukunft zu, sofern der Krieg mit einem Sieg beendet würde.
Bahr blickte ihn kopfschüttelnd von unten her an, der Krieg ist ohnedies schon verloren.
Sie schwiegen beide, ein besorgtes nachdenkliches Schweigen.
Ferdinand rià sich aus dieser Lethargie und rief: Nein, der Krieg ist nicht verloren!
Ich habe vom Tod Ihres Sohnes gelesen, sagte Bahr, Sie haben Schweres erlebt, und ich bewundere um so mehr Ihren Optimismus.
Da trat Bahrs Frau mit hochgestecktem blonden Haar ins Zimmer, eine imponierende Erscheinung auch aufgrund ihrer Fülle, im einfachen englischen Kleid, und als sie es leicht anhob, um sich zu setzen, sah er einen Volant aus hellgrauer Seide. Ferdinand schildert sie nicht ohne Schwärmerei.
Gnädige Frau, küà die Hand. Ehrfürchtig neigte sich Ferdinand über den gepflegten weiÃen Handrücken. Ein blu
miges Parfum drang an seine Nase. Das Gespräch nahm eine allgemeinere Form an, und Ferdinand verabschiedete sich kurz darauf. Bahr drückte ihm herzlich die Hand: Nun hoffen wir das Beste für unser Ãsterreich!
Von Unruhe getrieben, die Worte Bahrs über den verlorenen Krieg im Ohr, zog es Ferdinand erneut zu Arnold. Beim Abschied »drückte ich Arnold zum letzten Lebewohl stummbewegt ans Herz«. Aber er gab seine Liebe nicht mit Worten zu erkennen, das konnte er nicht.
Als Ferdinand in Wien ankam, war er fest entschlossen, Erkundigungen bei Rudolfs Regiment einzuziehen. Er meldete sich zur VII . Armee und erreichte seine Einteilung zur Intendanz, die sich in Kolomea befand.
Sie ist berührt, welche Anstrengungen er unternimmt, um sich den Glauben an das Leben seines Sohnes zu erhalten.
Eine merkwürdige Vitalität, die ihn antreibt, etwas zu tun, auch wenn es sinnlos ist.
Ende Oktober 1915 traf er, von Martha vorsorglich für den Winter ausgerüstet, in Kolomea ein. Während der ganzen Reise war er bedrückt gewesen und hatte geweint.
Kolomea war ihm nicht unbekannt. Seine Eltern waren vor Jahr und Tag auf Wunsch seiner Schwester Amalie, die einen dortigen Hotelier geheiratet hatte, hingezogen. Der Vater, dienstunfähig und krank, bezog keinerlei Pension und war auf die Unterstützung der Kinder angewiesen. Seit auch die Mutter erkrankt war, wurde er wiederholt von seiner Schwester um Hilfe gebeten, die nun allein die Betreuung der Eltern übernommen hatte, und war wiederholt nach Kolomea gereist. Ferdinand und sein Bruder Josef unterstützten die Familie mit monatlichen Beträgen.
Nun konnte er seine Eltern fast täglich besuchen und beobachtete den rapiden Verfall seines Vaters, der nur noch
verworrenes Zeug von sich gab. Augen und Geist waren getrübt. In seiner Todesstunde jedoch war er unerwartet klar und bat seinen Sohn um Verzeihung, wenn er ihm Unrecht getan habe. Sein Zustand zwang Ferdinand, Mitleid mit ihm zu haben. Er war beschämt, aber er wuÃte, daà die väterliche Reue für ihn selbst zu spät kam â ein Teil von ihm war längst abgestorben.
Er verabschiedete sich von seiner Mutter, deren Schmerz durch nichts zu lindern war. Sie glaubte fest, sie würden einander nie mehr wiedersehen. Sie blickte ihm noch einen Augenblick nach und winkte, dann wandte er sich ab: Die Pflicht rief.
Er machte sich auf zur Intendanz. Kolomea, ein typisch ostgalizisches Städtchen, mit einem GroÃteil Juden, die übrigen Einwohner polnischer, ukrainischer oder ruthenischer Nationalität. Schlicht, mit einem älteren Stadtkern, der nicht gerade vertrauenerweckend aussah, mit winkeligen, schmutzigen Gassen und einem modernen Villenviertel. In der Nähe deutsche Siedlungen wie das vorwiegend katholische Mariahilf und das protestantische Baginsberg.
Mariahilf fand er völlig zerstört vor, ansonsten war in dieser Region wenig beschädigt, nur hie und da lag ein Haus in Trümmern. Die wohlhabende Bevölkerung
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