Meine Väter
Helm, das Gerippe eines Pferdes. Ein über die trostlose Ebene fegender eiskalter Wind.
Das einzige Lebewesen: eine hinkende Katze, die traurig um die Häuser schlich. Am Ende des Dorfes schlieÃlich das Haus, in dem Rudolf das letzte Abendessen eingenommen hatte. Dann waren die Wachen in Schlaf gesunken, aus dem sie der Ãberfall der Russen weckte.
Hier muÃte der Platz sein, wo sein Sohn verwundet wurde oder starb.
Ferdinand kamen die Tränen. Er lehnte an der Hauswand, seine Hand zitterte, Bilder plagten ihn, sein zarter Junge, Knochen, nichts als Knochen. Er nahm den Weg zurück und trat wütend auf das umkämpfte Land.
Auf der Rückfahrt zogen die gespenstischen, tief eingerissenen Ufer des Dnjestr mit seinen schlangenhaften Mäandern an ihm vorbei. Er streifte den Ort, an dem der FluÃübergang stattgefunden hatte, und dachte an die Berichte von Rudis Kameraden, wie sie vor dem Ãbergang der von den Russen mit Granaten beschossenen Pontonbrücke zögerten. Wie Rudi dann eine Zeitung hervorzog und gemütlich lesend über die Brücke ging â hinter ihm die Mannschaft.
Tage später kam aus dem fernen Sibirien die Nachricht an die Front, daà Rudolf in einem russischen Feldspital an einem Lungenschuà gestorben sei. Auf dem Friedhof in Zlota Lipa befänden sich drei namenlose Gräber.
Neue Hoffnung. Wieder macht er sich auf.
Er unternahm die beschwerliche zweitägige Reise nach Essegg, stapfte erneut über verschneite Felder, der Wind pfiff eiskalt um seine Ohren, vorbei an ein paar mageren Birkenwäldchen mit klirrenden Bäumen. Der Schmerz begleitete ihn mit jedem Schritt.
In Gedanken versunken, ging er hinter dem Kustoden her und lieà die Gräber öffnen. Die Leichen lagen in ihren Särgen, in weiÃen Hemden, doch keiner mit LungenschuÃ. Was für theatralische Szenen! Ohne es zu wollen, schluchzte er auf.
Kaum zurück in Wien, erhielt er vom Gräber-Referenten die Information, daà sich auf dem Heldenfriedhof von Kosmierzyn das Grab eines unbekannten Soldaten befinde.
Hatte das nie ein Ende? Demütig und in Trauer verloren brach er erneut auf. Ein alter Mann führte ihn auf den öden Friedhof mit einfachen Kreuzen aus Birken und russischen Blechschildern, auf denen die Namen der Gefallenen standen. Er ging über klebrigen Schnee, stieg über Mauerreste, Granatlöcher und frisch aufgeworfene Schutthügel.
Der Mann wies auf das namenlose Grab.
Ferdinand hielt sich am benachbarten Kreuz fest, als das Grab geöffnet wurde, er vermochte sich kaum aufrecht zu halten. Würde dies endlich sein Sohn sein, sein geliebter Sohn?
Mit einem Aufschrei zuckte er zurück. Der junge Held, der hier in voller Uniform, so, wie er im Kampf gefallen
war, dalag, trug dieselben dunkelbraunen Aufschläge wie die 78er, aber von einem österreichischen Regiment, dem I . R . 7 aus Kärnten. Der Kopf lag unter dem Arm, neben dem Rumpf.
Hatten ihm die Russen den Kopf abgeschlagen? Nein, meinte der Kustode, er war so groÃ, daà der Kopf in dem einen Meter fünfundachtzig groÃen Sarg nicht Platz gefunden hatte. Kopflos, aber in Uniform.
Sein Sohn war das nicht.
Im Frühjahr 1916 verlieà er Kolomea, um seine neue Dienststelle bei der Wiener 3. Kavallerie-Division an der bessarabischen Front anzutreten, die in Kuczurmik unweit von Czernowitz in Reservestellung lag. Des Schreiberdienstes müde, wollte er weg vom Bürokraten-Tisch. Er wollte in den Krieg, dorthin, wo etwas los war â und dem häuslichen Leben mit Martha in Wien entfliehen, denn das war immer das gleiche. Da konnte die ganze Zivilisation, konnte sein Sohn sterben, konnten Kaiser und Könige, ganze Vaterländer untergehen â sie dachte an Kinder, Heim und Essen.
Bessarabien, eine fruchtbare Landschaft zwischen Pruth, Dnjestr und der unteren Donau, die früher Türken, nun russische Ansiedler deutscher Kolonisten bewohnten. An der Front von Kuczurmik hatten selbst im Winter die Waffen nicht geruht, und mit den Namen Toporoutz und Rarancze verbanden sich die Bilder brutaler Kämpfe. Das Gelände war hügelig und voller Schluchten. Hier war auch der höchste Punkt der Ostfront, der einige hundert Meter hohe Kavalleriestützpunkt.
Ein Durcheinander an Sprachen um ihn herum, wie er es mochte. Ferdinand freundete sich mit ein paar jungen Offizieren adeliger Herkunft an. Ein beinahe beschauliches Leben, wie er es sich
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