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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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hatte längst den Ort verlassen, nur die ärmeren Bewohner waren zurückgeblieben. Die Ämter und Behörden waren verlegt worden, ihre stattlichen Gebäude standen leer und wurden von den militärischen Dienststellen des VII . Armeekommandos und der Quartiermeister-Abteilung bezogen.
    Die Intendanz, in der Ferdinand arbeitete, hatte das Gerichtsgebäude besetzt. Im riesigen ehemaligen Gerichtssaal saßen nun die Intendanten und Unter-Intendanten,
Leutnants und Verpflegebeamten an langen Tischen und leiteten ihre Referate. In einem Schnellkurs wurde Ferdinand in die Brennstoff- und Schmierseife-Versorgung der Armee eingewiesen. Nur manchmal, wenn die Kohlenzufuhr infolge der Schneeverwehungen stockte und die Truppen ihre erkalteten Schwarmöfen beklagten, wurden Telefon und Hughes-Apparat, der moderne Drucktelegraf, bemüht.
    An der Front herrschte Ruhe, und die Verpflegung funktionierte. Ferdinand und die Truppen waren jedenfalls besser versorgt als die Seinen zu Hause, wie auch in Kolomea noch manches zu finden war, das es in Wien nicht mehr gab. So konnte er ab und zu etwas nach Hause schicken, einmal sogar, bei einer Tombola gewonnen, ein Ferkel, das er als geräuchertes Spanferkel den Seinen zukommen ließ.
    Umgeben von freundlichen Kameraden, Deutsch-Österreichern wie Ungarn, Tschechen, Kroaten, Italienern, kam er sich, weit entfernt vom Grauen der Gefechte, fast wie im Urlaub vor. Sein Posten war mitnichten heroisch. Aber er konnte sich einer Aufgabe widmen, die anderen Menschen half und Hunger stillte, das schuf Verbündete.
    Mitte November, als sein geschickt gestreutes Gerücht, daß er nicht nur Gymnasialprofessor für Deutsch, sondern auch ein vaterländischer Dichter sei, zu den Herren der Quartiermeister-Abteilung vorgedrungen war, wagte er es, dem Kommandanten seine Bitte vorzutragen, die die treibende Kraft für seine Meldung ins Feld gewesen war.
    In Habacht-Stellung stand er vor dem Obersten Schotsch, einem freundlichen, rotgesichtigen Mann, schlug die Hacken zusammen und sagte: Ich muß gestehen, Herr Oberst, daß meine Meldung nicht ohne Hintergedanken gewesen ist.
    Und er berichtete in knappen Worten vom angeblichen Tod seines Sohnes.
    Ich bitte Sie, sagte er, mir die Fahrt zur Front des Ersten Regiments 78 zu gestatten, um dort persönlich Erkundigungen über das Schicksal meines Sohnes einzuziehen. Schließlich mag es schon dagewesen sein, daß sich Beamte irrten, angesichts der Wirrnis des Krieges.
    Da haben Sie ganz recht, sagte Schotsch lächelnd, es gibt durchaus Fehlmeldungen, gerade im Krieg, und ich muß Sie stellvertretend um Entschuldigung für Kollegen bitten, die in der Not durchstreichen und darüberkritzeln.
    Spontan gab der Oberst ihm noch einen Brief an den Generalstabschef des 13. Korps mit. Tief gerührt von seiner Teilnahme und Offenheit machte sich Ferdinand, das Lichtbild Rudolfs in der Tasche, auf den Weg nach Buczacz, dem Sitz des Kommandos.
    Es war schon dämmrig, als er aus dem Zug stieg. Im tief verschneiten Ort angekommen, suchte er die 5. Kompanie des Regiments im Schützengraben auf. Seine Worte hatte er sich zurechtgelegt, doch als er vor Oberleutnant Leitner trat, dessen äußeres Erscheinen ihm sofort Vertrauen einflößte, brachte er sein Anliegen nur stotternd hervor. Oberstleutnant Leitner führte ihn zu den fünf Männern aus Rudis Zug, die den Überfall überlebt hatten. Zwei der Männer erklärten, Rudi sei tot oder verwundet liegengeblieben und wohl von den Russen fortgetragen worden.
    Dann traf Ferdinand auch Leutnant Ferder, Rudis Kameraden, der ihm den Brief geschrieben hatte, einen treuherzigen und feinnervigen Jungen, den die abgebrühten Landser noch nicht gefühllos gemacht hatten und dem Rudolfs Tod naheging. Wir haben mit ihm viel gelacht, erzählte der Leutnant, er war es, der immer voranging
und uns singend und pfeifend ermutigte, ihm zu folgen. Er war ein heiterer Held.
    Ferdinand äußerte den Wunsch, den Schauplatz des letzten Gefechts, das Dorf Kosmierzyn, zu sehen. Man stellte ihm einen Dienstwagen mit Pferden zur Verfügung, der ihn durch tiefen Schnee an sein Ziel brachte.
    Eine endlos lange Dorfstraße, die ins Schneenichts führte, und an ihr kein einziges unversehrtes Haus. Am Brunnen des Trümmerdorfes eine verschneite Warntafel: Achtung! Flecktyphusgefahr! Auf den Feldern vor dem Dorf Knochen eines Beines, ein durchlöcherter

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