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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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mitten im Krieg nie ausgemalt
hätte. Die Witze der Offiziere sorgten immer wieder für Heiterkeit; sie schäkerten noch, als sie in Horoschoutz einzogen.
    Unter starkem Beschuß durch die Russen machte er sich auf den Weg in die Schützengräben, um die zu versorgenden Truppenteile aufzusuchen. Sprenggeschosse zersplitterten zu seinen Füßen.
    Er war in einer eigentümlichen Verfassung. Kanonendonner und Granaten feuerten ihn an. Er forderte die Gefahr geradezu heraus.
    Nun, da sein Sohn tot war und der Kaiser und seine geliebte k. & k. Monarchie in den letzten Zügen lagen, war ihm sein Leben gleichgültig. War er in den Laufgräben mit seinen Essensrationen unterwegs, so fühlte er sich geradezu belohnt, wenn ein Schrapnell nach ihm zielte und zu seinen Füßen zersplitterte. Fieberhafte, draufgängerische, fatale Augenblicke.
    Er war es, der hätte sterben sollen, nicht sein Sohn.
    Er lieferte sich seinem Schicksal aus, das minderte seine Schuldgefühle. Die Zukunft interessierte ihn nicht, er hatte keinen Lebensplan.
    Russische Überläufer berichteten, daß Oberbefehlshaber General Brussilow eingetroffen sei. Brussilow ging der Ruf eines gründlichen Denkers voraus, der seine Angriffe sorgfältig vorbereitete.
    Nun wurden zu den Wiener Sachsen-Dragonern ein ungarisches Husaren- und ein galizisches Ulanenregiment, die den Kern seines Frontabschnittes bildeten, herangezogen, meist Fußtruppen – für Ferdinand bedeutete dies vermehrte Arbeit, und häufig mußte er sich dem Feind auf Schußweite nähern.
    Dennoch fand er ab und zu in seinen Pausen Gelegenheit, zum nahen Czernowitz zu fahren, eine Art Österreich
im Kleinen, wie er fand. Immerhin hatte er einen Dienstwagen, ein landesübliches, mit zwei Pferden bespanntes Fuhrwerk. So genoß er ab und zu das beinahe mondäne Leben in der Universitätsstadt mit ihren verlockenden Läden, in denen es Dinge zu kaufen gab, die ein Kulturmensch brauchte, sogar Bücher! Es gab schöne Cafés und Zeitungen, Restaurants mit ansprechendem Angebot. Die Bevölkerung bunt gemischt: Rumänen, Ruthenen, Polen und eine große jüdische Gemeinde. Deutsch war die allgemeine Umgangssprache, deutsch die Bildungsanstalten, deutsch die Universität. So konnte er sich beinahe in einer deutsch-österreichischen Stadt glauben, was zu seinem Wohlbehagen beitrug, und er bedauerte, daß er seinerzeit das öde Jägerndorf für den Schuldienst gewählt hatte, statt Czernowitz. Zudem hatte er dort einige Freunde, die er besuchte. So genoß er friedliche Stunden, ehe er wieder zu seiner Armee zurückkehren mußte. Wäre nicht ab und zu ein Flieger über die Stadt geflogen, man hätte in Czernowitz vom Krieg wenig gespürt.
    Ganz anders das Städtchen Sadagora, das an der Wegstrecke nach Czernowitz lag, unter den Juden bekannt, weil hier ein Wunderrabbi residierte – es war völlig zerstört. Den Rabbi hatte der Krieg vertrieben, sonst hätte ihn Ferdinand besucht.
    Hat sie recht gelesen? Er, der das Judentum abgelegt hatte, wollte zum Rabbi?
    Das klingt zunächst überraschend. Doch nie zuvor hatte er eine solch extreme Verzweiflung gekannt, nun suchte er Hilfe, suchte sie sogar in der jüdischen Religion.
    Anfang Juni kam es zur russischen Offensive. In den frühen Morgenstunden des 4. Juni griffen die Russen die österreichischen Schützengräben auf breiter Front mit Gas an; Ferdinand, der sich außerhalb befand, blieb unbe
helligt. Panik. Chaos. Ein Befehl jagte den anderen, die Soldaten flüchteten in alle Richtungen, die Ordonanzoffiziere stürmten auf ihren schaumbedeckten Pferden hin und her, Trommelfeuer setzte ein.
    Ferdinand saß mit Kameraden in Deckung. Er hätte nie gedacht, daß ein Krieg etwas so Chaotisches sein konnte und selbst Offiziere die Orientierung verloren. Sie waren hilflos und gaben irreführende Befehle.
    Als ein neuer Unter-Intendant kam, wurde Ferdinand vom Stab abkommandiert und in Stryj mit der Führung zweier Verpflegungsmagazine der Kampfzone betraut, was eine Herabsetzung bedeutete.
    Ohne Pferd hätte er den anstrengenden Dienst nicht leisten können, der ihn von einem Magazin zum anderen hetzte, um Proviant aufzunehmen und zu verteilen, meist im Schußbereich der russischen Kanonen. Gut, daß er damals auf dem Herrenhof reiten gelernt hatte. Bald fühlte er sich wieder sicher im

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