Meine Väter
Sattel. Er richtete es so ein, daà er in einem zwei Kilometer entfernten Dorf schlief, denn an Nachtruhe war im umkämpften Posten an der Front nicht zu denken.
Sein Privileg erregte den Zorn des Unter-Intendanten, der darauf bestand, daà Ferdinand auch nachts auf seinem Posten zu bleiben habe. Doch mit Ferdinands Listigkeit hatte er nicht gerechnet. Er schlief auf der PaÃhöhe. Dort, hatte er festgestellt, befand sich in einiger Entfernung ein Försterhaus, dessen Bewohner ihm ein Zimmerchen überlieÃ. Hier klang der Schlachtenlärm nur gedämpft herein, und Ferdinand verbrachte ruhige Nächte, das Pferd im Stall.
Um ihn herum überall Tod. Die Lage wurde immer kritischer, doch er dachte an Rudolf, und ihm war alles egal.
Sein Leben schien ihm sinnlos und bedeutete ihm nichts â
und doch kehrte sein Glaube wieder, daà der Krieg sinnvoll sei?
Am 11.âJuni stand er früh auf, um von einem Hügel aus mit dem Feldstecher den Verlauf des entscheidenden Kampfes auszuforschen. Er sah, wie sich ein Bataillon der Infanterie in aufgelöster Schwarmlinie einen Abhang hinaufzog, um die Russen, die bereits die vorderste Linie der Schützengräben besetzten, zu vertreiben. Die Ruhe und Sicherheit, mit der sie ihren bedrohlichen Weg gingen, unter Kugeln und Granaten, lieà sein Herz höher schlagen. Das war ein neuer Zug an ihm, der mit dem Krieg entstanden war: Jedes patriotische Verhalten flöÃte ihm Stolz und tiefe Rührung ein.
Mit dem Feldstecher suchte er den Hauptmann. Der schritt aufrecht und ohne Hast dahin, die meisten um einen Kopf überragend, und tat seine Pflicht. Plötzlich ging ein Schnellfeuer los, und ein Soldat nach dem anderen fiel. Nun brach eine ungeheure Masse aus allen feindlichen Linien hervor und warf sich mit Wucht auf die schütteren österreichischen Reihen. Der Hauptmann war nicht mehr zu sehen.
Ferdinand verlieà eilig seinen Beobachterposten und begab sich zum Stab, um die Befehle für die MaÃnahmen beim Rückzug entgegenzunehmen. Er fand das Bataillon zerknirscht, dezimiert und deprimiert: Die Wachen hatten geschlafen, wie beim Tod Rudolfs versagt. Viele von der k.â&âk. Armee hatten sich ergeben. »Das war das Ende der Schlacht bei Okna.«
Ferdinand bekam den Befehl, die reichlichen Vorräte des Magazins in Kociuba an die Truppen auszugeben und den Rest sofort zu verbrennen. Ihm blutete das Herz, wenn er an seine hungernden Familien in Wien und in Kolomea dachte, denn kurz zuvor war eine Wochensendung
mit einem Dutzend Prager Schinken, mehreren Metern geräucherter Würste, vielen Kisten mit Eiern und Marmelade, Schokolade, Rauchwaren, sogar Klosettpapier eingetroffen, das vor allem dem Stab zugedacht war. Er verteilte es in Windeseile, und jeder, der vorbeikam, erhielt, was er nur tragen konnte.
Was aber sollte mit den vier Hektolitern Wein geschehen? Er hatte den strikten Befehl, die Fässer ausrinnen zu lassen, doch eine innere Stimme sagte ihm, es sei besser, sie gefüllt den Russen zu überlassen. Sie würden sich volllaufen lassen und den Kampf vergessen.
Schon vernahm er den Ruf: die Tscherkessen! Für ihn die »unliebsamste Völkerschaft der russischen Steppe«, die sich, »das Messer im Mund«, in den Nahkampf stürzte, die sollten sich am Wein gütlich tun und ihren Rausch ausschlafen, statt Blut zu vergieÃen, so sein geheimer Wunsch.
Die List bewährte sich, wie er bald erfahren sollte. Denn als man ihn zur Rechenschaft zog, fragte der Divisionär, der dem Verhör beiwohnte:
Haben Sie denn nicht die Fässer ausrinnen lassen?
Nein, Exzellenz, antwortete Ferdinand, das tat ich nicht.
Der Divisionär lächelte: Sie haben recht getan. Unser Stab wäre sonst nicht so glatt durchgekommen.
Aber das Klosettpapier, warf der Intendant ein, der sich mit seinem vollbeladenen Auto als einer der ersten von der Front davongemacht hatte, das haben Sie mit verbrennen lassen, statt es dem Divisionsstab auszuhändigen.
Ja, sagte Ferdinand mit schuldbewuÃter Miene, ich hätte bedenken sollen, daà unsere Situation dringend nach Klosettpapier verlangt.
Sie muà schmunzeln und fängt an, ihre zwiespältige Rolle als Beobachterin zu begreifen. Dieser Mann konnte Befeh
len ebenso pflichtbewuÃt nachkommen wie sich über sie lustig machen und sie miÃachten.
War er nicht mehr abhängig von dem, was man ihm befahl?
Ihre Hoffnung ist,
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