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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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daß dieser Zug in ihm weiterlebt.
    Er folgte der Truppe in die Talsenke und dann den Flußlauf des Czeremosz entlang, nahm den steilen Abhang des Ćorny Vrch und wunderte sich, daß sein Roß nicht zu Fall kam.
    Die langanhaltenden Beschießungen und Grabenkämpfe im Niemandsland hatten ungeheure Verwüstungen gebracht. Die Dämmerung fiel ein, halbtote Pferde lagen am Straßenrand, Verwundete wechselten einander den Verband und saßen da, erschöpft, blutend. Die ermüdeten Fußtruppen marschierten an ihm vorbei, man blickte halb mitleidig, halb neidisch auf den einsamen seltsamen Reiter, und manchmal hatte er Angst, man könne ihn seines Pferdes berauben.
    Die Gegend wurde menschenleer. Die Verbindung mit dem Stab hatte er längst verloren und überließ sich dem braven Tier, voll Vertrauen, daß es den rechten Weg finden würde. Und tatsächlich, mitten in der Nacht traf er wieder auf die Seinen und opferte den hungrigen Kameraden Brot und Wurst.
    Sie ritten und marschierten tagelang, über Straßen, Felder, Flüsse und Gräben, bald hing er mehr im Sattel, als er saß, und spürte seine Schenkel nicht mehr, und als sie am Bestimmungsort eintrafen, mußte man ihn vom Pferd heben und niederlegen – er wäre sonst wie ein Klotz umgefallen.
    Doch wie seine Leute auf dem Rückmarsch verpflegen ohne Verpflegestation? Das war schließlich seine Aufgabe. Also hielt er die Augen offen und entdeckte in Unter-
Stanestie in einem versteckten Winkel einen Riesenballen chinesischen Tees, in Wiznitz sammelte er die Vorräte ein, die die geflüchteten Bewohner zurückgelassen hatten, in Krzyworownia fand er große Gläser mit eingelegten Zwiebeln und Tomaten. Im prächtigen Badeort Dornawatra konnten sie sich gründlich säubern. Schließlich Jakobeny und Kirlibaba, schon an der Grenze Siebenbürgens, wo sie einen hohen Paß, den Prislop, zu überqueren hatten. Hier lag endlich der Karpathenwall zwischen ihnen und den Russen, und sie gönnten sich ein paar Tage Pause.
    Ãœber Felsö-Visso, wo er die aus der »Hölle von Verdun« zur Unterstützung herangezogenen deutschen Truppen an sich vorüberziehen sah – magere, abgewrackte, verwundete Gestalten, die fast ohne Unterbrechung durch halb Frankreich gelaufen waren –, ging es dann weiter nach Havasmezö, auch Russpolyana genannt, dort setzten sie sich für ein paar Wochen fest.
    Ferdinand wurde als »Intendanzchef« von Oberst Dragoni der Brigade zugeteilt und hatte seinen Sitz im Holzschlaghaus hoch in den Bergen nördlich von Dombo. Das Klima war rauh, die Nächte waren kalt, und Ferdinand war mangelhaft ausgerüstet. Er bekam eine heftige Angina, hielt aber dennoch am 18. August, Kaisers Geburtstag, vor seinen Leuten eine schwungvoll-fiebrige Rede und wurde schließlich ins Feldspital eingeliefert, dann in eine Spezialklinik des Wiener Parlaments, da die heftigen Muskelschmerzen – wohl eine Folge des Giftgases – nicht nachließen. Schließlich wurde er auf Urlaub nach Hause entlassen.
    Ferdinand fühlt sich aufgrund seiner subalternen Tätigkeit als Verpfleger der Kompanie davon entbunden, sich mit den Greueln dieses Krieges ernsthaft zu beschäftigen. Die
Unbekümmertheit, mit der er den schrecklichen Gaskrieg und die Verstümmelten nur am Rande erwähnt, ist ihr unheimlich. Falls er litt, wenn ein Kamerad neben ihm tot zu Boden fiel, so hat er es gut verborgen.
    So hat sie sich das nicht gedacht. Ihre Hoffnungen auf einen Schwejk drohen zu zerfließen.
    Mitte Oktober war Ferdinands kurzer Urlaub vorbei, und während der Vorbereitungen für seine Reise nach Galizien ereilte ihn die Nachricht von der Katastrophe des 3. Tiroler Kaiserjäger-Regiments in der Schlacht am Monte Pasubio. Ein erbitterter Stellungskrieg, der mit der deutschen Niederlage endete. Man stritt um jedes Felsenstück, jede Almwiese, jede Höhle. Fast das ganze Regiment Arnolds sei vernichtet, der Oberst gefallen.
    Ferdinand hatte ein seltsames Gefühl der Wiederholung. Nicht noch einmal. Das war zuviel.
    Die ganze Nacht lief er durch die Straßen und wartete, daß der Tag anbrach. Erst dann gelang es, ein Telegramm an das Regiment mit der Anfrage nach Arnolds Befinden abzuschicken. Die sibyllinische Antwort: Der Fähnrich Arnold Bronner sei nicht beim Regiment. Nun wuchs die Sorge erst recht. War Arnold verwundet, in Gefangenschaft

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