Meine Väter
wie es unsere Eltern waren«.
Die bloÃe Vorstellung, alt zu werden, vor allem geistig, versetzt Bronnen in Panik. Die Hilflosigkeit angesichts dieses unausweichlichen Prozesses zieht sich durch sämtliche Stücke. Seine Helden sind jung und leben im Gefühl, betrogen worden zu sein. Eine national denkende Jugend, die er im Oberschlesienroman O . S . 1928/29 verklärt. Seine Liebäugelei mit den Nationalsozialisten (»mein alter Versuch, mit einem nur wenig veränderten politischen Sinn«) und sein Eintritt in die Kommmuni
stische Partei 1945 lassen seinen Traum von einem Neuanfang und einer anderen Welt lebendig werden.
Das Lesen des Protokolls beginnt sie zu ermüden. Immer diese Selbststilisierung als rebellischer Sohn.
Warum tut er das, fragt sie sich.
Der Vatermord ist kein realer, er ist ein mythischer Mord.
Und doch sollte der Vaterverrat und Bühnenmord reale Folgen im Leben Arnolt Bronnens und Ferdinand Bronners nach sich ziehen, gipfelnd in einem schmählichen Justizfall. Der auf der Bühne ermordete Vater wird vom Sohn gleichsam wiedererweckt, um gegen ihn einen Vaterschaftsprozeà zu führen.
Vater und Schuld. Für Bronnen fast ein Synonym. Nie wird er es lösen, das schreckliche Schlangenknäuel der Bande des Bluts , wie Eluard in einem Gedicht schrieb. Er verharrt im narziÃtischen Selbstbild.
Nach dem Vatermord seines Sohnes in Berlin wird Ferdinand Bronner in Wien kein Stück mehr schreiben.
Hat der Sohn mit dem Vatermord den Vater mundtot gemacht?
In einer Kritik Alfred Kerrs liest er später Zeilen, die an ihn persönlich gerichtet sind:
»Was sagen Sie zu dem Jungen? Kommen Sie nicht im Vatermord vor? Das hat man davon. Wiedersehen, Bronner. âºWohl dem, der seiner Väter gern gedenkt.â¹Â«
Bronnen blieb seinem Haà treu.
Weil er für die Ablösung der Alten plädierte und nun ratlos ist, was mit der Welt, die seine Generation übernimmt, zu tun wäre? Weil ihn die Leere seines Lebens frustriert? Weil ein Leben ohne Ãbertretungen leer sein würde?
Eine überzeugende Antwort findet sie nicht.
Mit dem Vatermord begann das Schweigen in Ferdinands Familie, Martha schwieg, Ellida schwieg, Günther
schwieg â ein anklagendes Schweigen. Ãber Arnolts Konflikte mit seinem Vater sprach man nicht.
Wahrscheinlich dachte Ferdinand nicht gern an Arnolt, denn was er in den folgenden acht Jahren aus Berlin hörte, war beunruhigend und chaotisch. Nicht nur, daà Arnolt in den Resten seiner Militäruniform durch die Stadt gezogen war, wenn auch ohne Offiziers-Rosette. Er gebärdete sich als Nationalist, Antibolschewist und Antisemit, sprach von »revolutionärer Umgestaltung unseres Daseins nach rechts« und forderte in einer spektakulären Rundfunkrede, die auch in der Wiener Presse zitiert wurde, jenen Männern Platz zu machen, die bereit seien, die Zukunft neu zu gestalten, »im Dienste der Nation«.
Im Oktober 1930 störte er Thomas Manns Deutsche Ansprache im Beethoven-Saal zusammen mit Nationalsozialisten durch Zwischenrufe. Zuvor hatte Bronnen Ernst Jünger angerufen, und zu fünft verabredeten sie sich, die Veranstaltung zu besuchen. Da erfuhr er, daà Joseph Goebbels, den er im selben Monat kennengelernt hatte, zu seiner Unterstützung zwanzig SA -Männer im Frack in den Saal schicken würde. »Ich ging etwas gedrückt in den Beethoven-Saal«, schreibt Bronnen, »denn ich fürchtete, die SA -Rabauken würden wer weià was für einen Zauber aufführen.« Es kam zum Tumult. Bronnen wurde von der Polizei abgeführt â und durfte wieder an der Veranstaltung teilnehmen.
Wie die Deutsche Tageszeitung berichtete, appellierte Thomas Mann in seiner Deutschen Ansprache »müde und heiser« an die Vernunft der Deutschen. Nie, sagte Thomas Mann, hätte der Nationalsozialismus die Macht gewinnen können, wenn nicht Germanistenromantik, Biedersinn, bündische Ideale und nordische Anbetung das Zuströmen pseudogeistiger Kreise verursacht hätten: Der
Wunsch ginge nach einem Hacken zusammenschlagenden, strammstehenden Deutschland. Er sagte geradeheraus, der politische Platz des Bürgertums sei an der Seite der Sozialdemokratie.
Vernunft: ein Reizwort für Bronnen. Seine Zwischenrufe: ein Skandal, der auch durch die Wiener Presse ging. Der Völkische Beobachter bezeichnete in einem hämischen Artikel Thomas Manns Rede als
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