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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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anzukommen.
    Er war froh, seine Familie endgültig verlassen zu können. Er würde ein freier Mann sein, ab dem 1. März als Kommis im Kaufhaus Wertheim sein erstes Geld verdienen.
    Schon 1910, »in den letzten Jahren der sterbenden Donau-Monarchie«, ausgelöst durch die großbürgerlichen jüdischen Mitschüler, die »Goldberger de Buda« oder »Engel von Janossi« hießen, hatte der Obergymnasiast Arnold
Bronner lange über seinen Namen nachgedacht, der ihm »so wenig gefiel wie mein Gesicht«. »Ich trug meinen Namen lange in mir, ehe ich ihn das erste Mal niederschrieb: Bronnen. Und dazu meinen Vornamen änderte, erst in Arne, dann in Arnolt. Von da an wußte ich, daß dies mein Name war.«
    Nun, da er Schriftsteller war, benutzte er diesen Namen. Die offizielle Namensänderung nahm er allerdings erst 1945 vor.
    Arnold sagt sich los. Vom Elternhaus, vom Vater, von seinen Verpflichtungen, vom Judentum. Vom Namen. Schneidet sich von der genealogischen Kette ab – wie zuvor Ferdinand.
    Weiß er jetzt, wer er ist?
    Die Wiener Sonntags- und Montagszeitung 1935: »Der talentierte Knabe begann seine literarische Laufbahn damit, daß er die Endbuchstaben seines Vor- und Zunamens maskierte. Aus Bronner wurde das von romantischer Poesie umwobene schöne deutsche Wort Bronnen, aus dem gewöhnlichen Arnold ein gehärteter Arnolt. Durch dieses t machte sich der junge Literat bei der ›Asphaltpresse‹ zwar verdächtig, aber die Art seiner schriftstellerischen Produktion beseitigte den Verdacht. Denn was er dichtete, war Kulturbolschewismus in Reinkultur.«
    Ãœber die Einfachheit der Verwandlung ist sie verblüfft: statt Arnold Arnolt, statt Bronner Bronnen. Zwei Buchstaben reichen zur Verneinung.
    Ein simpler Trick. Und zugleich ein wirkungsvolles Symbol für die Selbstgeburt.
    Ein Vatermord, der an zwei Buchstaben hängt.
    Nicht Arnold Bronner, sondern Arnolt Bronnen hatte Freunde mit einer vornehmen Karte für den 14. Mai 1922 nach Berlin zur Premiere seines neuen Stücks im Deut
schen Theater eingeladen; Ferdinand fuhr nicht hin. Zwar war Reisen damals billig, aber umständlich, und für Martha zu beschwerlich. Außerdem, Martha würde nichts sehen können, sie war fast blind.
    Möglich aber, daß Ferdinand gar nicht kommen wollte. Arnolt hatte es nicht gewagt, seinem Vater den Text zu zeigen, an dem er seit seinem achtzehnten Lebensjahr gearbeitet hatte. Daß sein Sohn ihn nicht in seine Arbeit eingeweiht hatte, dürfte Ferdinand getroffen haben. Nie hat er sich dazu geäußert, nie mit seiner Familie darüber gesprochen.
    Außerdem, jenen Arnolt in seinem eleganten grauen Anzug, ein hellblaues Monokel im linken Auge, der für einen Kommis im Warenhaus Wertheim eine zu gute Figur machte, der, ohne Geld zu haben, sich teuren Vergnügungen hingab, den mochte er wohl nicht. Arnolt kannte alle Welt, hatte, was man Beziehungen nannte, und führte offenbar ein süßes Leben. Als er die Eltern kurz in Wien besucht hatte, ließ er in lässigem Ton berühmte Namen fallen, deutete verschiedene Affären mit Frauen an und sprach von Empfängen in berühmten Salons.
    Ein Großsprecher, ein Angeber, ein Bonvivant. Der hinter dem Monokel seine Unsicherheit verbarg, eine exaltierte gepflegte Gestörtheit. Der einen teuren »Wanderer« fuhr, Frauen und seine Dogge neben sich. Einer, der beim kleinsten Zwist in den Wäldern verschwand, wo er heisere Proteste gegen die Herrschaft der Alten losließ. Ein Anarchist, der die geringste Ordnung als Zwang verstand. Und doch hatte der Krieg aus ihm einen Dichter gemacht.
    Außerdem, wie gebückt und armselig sie beide wirken würden, er in seinem abgetragenen Anzug, Martha in einem alten Seidengewand. Was für ein Unterschied zu
den eleganten, trotz aller Not modisch gekleideten Berliner Gestalten! Er würde sich provinzlerisch vorkommen, kleinbürgerlich, ein grauer Schatten seines früheren Selbst wie sein Land, das seit Kaisers Tod in den letzten Zügen lag.
    Â 
    * * *

30. Ein Sohn tötet einen Sohn
    Vatermord. Ein Bühnenstück von Arnolt Bronnen , konnte Ferdinand auf dem Programmzettel lesen. Mag sein, daß er schreckliche Bilder an sich vorüberziehen sah, Söhne mit Messern, Gewehren, Beilen, die ihre Väter mit unbegreiflicher Grausamkeit attackierten. Dunkles, das in Arnolts Innerem lange Zeit

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