Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
Vom Netzwerk:
verstrickt gewesen sein soll? Plausibel erscheint ihr das nicht.
    Das bestärkt sie darin, daß Arnolt Bronnen seine Vergangenheit umgeschrieben hat, um den angeblich von Kindheit an gepflegten Vaterhaß zu motivieren.
    Doch aus welchem Grund? Um sein Verhalten einsehbar erscheinen zu lassen?
    Nun also der zweite Vorstoß. So schrieb er seiner Mutter »nach einigem Zögern«, warum er sich genötigt sähe zu klagen, und »bat sie um Verständnis«.
    Konnte sie, fast blind, den Brief selbst lesen? Oder mußte Ferdinand ihn ihr vorlesen, wäre also Mitwisser?
    Am 18. November 1930 gab seine Mutter vor dem Wiener Notar Dr. Franz Wittmann die eidesstattliche Erklärung ab, die besagte, »daß ich christlich-deutscher Herkunft und daß Dr. Ferdinand Bronner nicht mein natürlicher Vater sei«, so Bronnen im Protokoll.
    Â»Wie aber kam Ihre Mutter dazu«, läßt Bronnen seinen Richter im Protokoll fragen, »eine solche Erklärung abzugeben, die von vielen als absurd angesehen wird? Kann man nicht (…) annehmen, daß Ihr Einfluß auf Ihre Mut
ter doch größer war, als Sie dachten, und auf jeden Fall intensiver, als Sie uns heute den Fall darstellen?«
    Unbeantwortete Fragen, die in ihrem Kopf zu kreisen beginnen.
    Traut sie ihm zu, den eigenen Vater an den Pranger zu stellen? Wenn ja: war es bodenlose Niedertracht oder rechthaberischer Wille, der Öffentlichkeit seine ›arische‹ Herkunft zu beweisen? War er gar im Recht, wie es seine Mutter bezeugte? Noch schreiben wir das Jahr 1930, noch geht es nicht um Leben oder Tod, nicht um die ›Endlösung‹ der Judenfrage.
    Arnolt braucht Helfer. Nutzt er dazu die nahezu erblindete Martha aus? Wie liest und beantwortet sie seine Briefe ohne fremde Hilfe?
    Ihr beginnt zu dämmern, daß es hier um viel mehr geht, als sie es sich im Moment vorzustellen vermag.
    Ãœber meine Großmutter Martha weiß ich nicht viel. Sie war wohl eine bescheidene, zurückhaltende Frau, verdiente ihr Geld als Gouvernante, dann heiratete sie und bekam vier Kinder. Sie sprach Englisch und Französisch, schrieb flüssige Briefe, hatte Freunde und Interessen und lernte zweifellos, was es für die Frau eines Professors und Schriftstellers zu lernen gab. Sie füllte die Rolle der perfekten Hausfrau zu aller Zufriedenheit vollständig aus, und sie war wohl auch eine reizvolle Frau, die vielerorts verehrt wurde. Vielleicht war sie naiv, ihr Enkel Hans und Urenkel Günther aber bezeichnen sie als gescheit und lebensklug. Ihr Verhältnis zu Ferdinand war sicher ambivalent, und ich halte es nach Aussagen von Renate Bronnen – die allerdings von Arnolt selbst stammen können – nicht für unmöglich, daß auch sie antisemitisch angehaucht war. In jedem Fall liebte sie Arnolt.
    Für eine Frau wie Martha jedenfalls mutet diese eides
stattliche Erklärung seltsam an, aber »es muß ja leider sein«, heißt es in einem beigelegten, nicht minder befremdlichen Brief, teils auf der Schreibmaschine, teils mit der Hand geschrieben. Umständlich und ungelenk beschreibt sie den Tag vor ihrer Hochzeit in Görz, als Ferdinand sein Kommen wiederholt verschoben hatte und eines Tages morgens um zehn Uhr schließlich dort eintraf, ohne Martha aufzufinden.
    Holprig beschreibt sie den Polterabend. Er, Ferdinand, habe sie geächtet. Unter Tränen habe sie ihr Essen heruntergewürgt, keines einzigen Wortes habe er sie gewürdigt. Des Nachts, froh, endlich allein zu sein, habe sie so geweint, »tot weinen« wollte sie sich.
    Ratlos sitze ich über den Sätzen. Warum diese Sentimentalitäten? Martha war doch sonst nicht so weinerlich? Wie ging diese Geschichte weiter?
    Â»Er schlief bei den Alten, ich ging mit den Jungen hinüber, war froh, endlich allein zu sein … Plötzlich war der Schmidt drin, er redete mir zu, er streichelte mich, er beruhigte mich so, daß ich einschlief … und gleich wieder aufwachte, wodurch, das überlasse ich Dir es auszudenken, dabei schlief nebenan die Frau.« Und dann heißt es: »Später sagte ich mir, daß er mich hipnotisiert hat, denn wie ich aufwachte, wußte ich, daß er mich mißbraucht hat.«
    Ein paar Zeilen später bat sie ihn, über das Geschehene zu schweigen, denn: »… ich hoffe, Du wirst keinen Stein auf mich werfen was aber wird Papa sagen ich kann es ihm nicht sagen so lange Zeit

Weitere Kostenlose Bücher