Meine Väter
geschwelt haben muÃte.
Vatermord, die verzweifelte Problematik seines Lebens, die Bronnen gleichzeitig Auftrag war. Die Rolle des Sohnes Vater wie Sohn eingeschrieben.
Bestimmt hat Ferdinand den Vatermord gelesen, dazu fühlte er sich doch zu verstrickt. Er kannte die Motive, ob aus seiner Familie Wawroch oder aus Arnolts frühem Stück Recht auf Jugend . Auch aus der Realität. Aber wie genial war Arnolt vorgegangen! Diese Sprache, diese dramaturgische Brillanz!
Vielleicht verspürte Ferdinand eine gewisse Bitterkeit. DreiÃig Jahre lang hatte er sich gequält, dann zeigte ihm sein Sohn, wie man das machte! Denn so verblendet war der Literaturwissenschaftler nicht, daà er nicht gesehen hätte, wie hervorragend das Stück war. Möglich, daà er Arnolt um seine Freiheit beneidete, die bürgerlichen Fassaden niederzureiÃen, der ohne Rücksicht seinen Vaterhaà austobte: »Du Teufel Henker Herr Erzeuger Hund.«
Der animalische Gefühlsausbruch, der sich von der Haltung Ferdinands in Familie Wawroch unterschied, muÃte den Vater erschrecken.
Sie stellt sich vor, wie Ferdinand in dem Buch las, die Seiten umschlug und auf den Augenblick wartete: Jetzt bringt er ihn um, den Vater, wie ihn das erschüttert haben muÃte.
Verstörte Ferdinand der Gedanke, daà er damals, mit seiner Familie Wawroch , eine ähnliche Untat verübt hatte? WuÃte er nicht selbst ganz genau, wie es schmerzt, wenn man seinen Vater nicht lieben kann?
Oder ihn zu sehr liebt.
Der Vatermord verwandelte Ferdinand in Vater und Sohn zugleich. Bei ihren Vätern fand ein ständiger Rollentausch statt, immer wechselten sie die Position. Das macht das Ganze so unentwirrbar, weil jeder sich mit jedem verwechselt und nicht mehr unterscheidbar ist, wo der eine anfängt und der andere aufhört, wo einer Vater ist und wo Sohn. â
Am Tag der Premiere war die Kasse umlagert. Viele junge Leute, die Männer bartlos mit geglättetem Haar, die jungen Frauen mit frechen Frisuren.
Der Zuschauerraum des groÃen Theaters war voll besetzt.
Stille trat ein, es ging los. Das enge Zimmer, in dem sich der Kampf zwischen Vater und Sohn abspielte. Da war der Vater, ein Trinker, der seine Familie schlug und unterjochte, ein kleiner Büroangestellter, Sozialist, ein Kleinbürger voll Subalternität. Da war der revoltierende Sohn, »vom Vater gedrillt zu einem Werk-Zeug des sozialen Aufstiegs«, so Bronnen im Protokoll , der frei sein will, sein eigenes Leben leben will. Das verzweifelte Ringen zwischen den beiden, das auch die Frau erfaÃte, war eng an den Sohn gebunden, eine blutschänderische Beziehung voller Wut, sexueller Erregung und Gewalt.
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Walter: Vaterland ist das Land der Väter.
Fessel: Vaterland ist das Land, wo die Väter fronen für ihre Söhne.
Walter: Und sie prügeln.
Fessel: Und sie ernähren.
Walter: Und sie einsperren.
Fessel: Und sie kleiden.
Walter: Und sie knechten.
Fessel: Und sie erziehen.
Walter: Und sie hassen.
Fessel: Und für sie besorgt sind.
Walter: Und sie zertreten, wenn sie können.
Fessel: Und sie zertreten, wenn sie wollen.
Walter: Will!
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Der verrückte und vermessene Versuch, alles, die Väter, die Ordnung, den Staat, die Welt, die gesamte Menschheit zu zerstören.
Von der Bühne kam ein brünstiges Röcheln, die inzestuöse Vereinigung hatte die Mutter zur Frau des Sohnes gemacht. Der Sohn nimmt sich das letzte, was dem Vater gehört: die Frau.
Niemand vor mir niemand neben mir niemand über mir der Vater tot / Himmel ich spring dir auf flieg / Es drängt zittert stöhnt klagt muà auf quillt sprengt fliegt muà auf muà auf
âIch
âIch blühe
Â
Der nackte Jüngling in mächtiger, von oben herabstürzender Helligkeit, der erstochene Vater in dunklem Blut am Boden. Im Augenblick des Orgasmus bricht das Stück ab.
Die Erlösung.
Als Mörder und Ermordeter, Sohn und Vater, Walter und Ignaz Fessel erschöpft niedersanken, sank auch Arnolt erschöpft im Sitz zurück.
SchweiÃgebadet saà er da und rang nach Luft, »mit den
übersteigerten Sinnen, die einem solche Momente verleihen«.
Zeugung und Geburt, Phallus und MutterschoÃ.
Und dieser HaÃ.
Er lockerte seinen Kragen.
Niemand vor mir, niemand über mir.
Bronnen empfand die Inszenierung â Berthold Viertel hatte die Nachfolge Bert Brechts als Regisseur übernommen
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