Meine Wut ist jung
Gesellschaft, also das geistige Eigentum im Spannungsverhältnis zur Freiheit im Netz zu schützen. Diese Diskussion ist in vollem Gange. Darauf sollten wir noch zurückkommen.
Könnte es nicht zu spät sein, sich diesen Themen zu öffnen, da sie längst von den Piraten besetzt werden, die dabei sind, in den Parlamenten den Platz der FDP einzunehmen?
Das tun sie nicht. Und zwar weder mit ihrer neuen Methode, das Internet zu nutzen, noch mit ihren politischen Themen. Sie haben das Politikfeld Internet entdeckt und die digitale Revolution zum Thema gemacht. Da haben die Altparteien einen deutlichen Nachholbedarf. Mit den Liberalen haben die Piraten inhaltliche Berührungspunkte auf dem Feld der Bürgerrechte, zum Beispiel in Sachen Vorratsdatenspeicherung. Aber insgesamt sind die Piraten nicht auf dem Wege zu einer neuen liberalen Partei. Dafür fehlt zum Beispiel die liberale Konsequenz in der Wirtschaftspolitik. Insgesamt sind sie eher eine nach links tendierende Partei. Positiv ist, dass sich bei den Piraten zahlreiche freiheitsorientierte Menschen zusammenfinden, von denen sich viele zum ersten Mal politisch engagieren. Zu einigen von ihnen habe ich gute Kontakte. Die Piraten sollten sich aber nicht darauf verlassen, dass der Frust über die Altparteien ihnen auf Dauer eine Existenz sichert.
Eine Partei muss sich in erster Linie durch ihre politischen Ziele definieren und nicht durch die Methode ihrer Meinungsbildung. Zu stark ist bei den Piraten die Identifizierung mit dem technischen Medium Internet. Durch ständige Plebiszite in die Partei hinein ist Handlungsfähigkeit in Parlamenten nicht gewährleistet. Wer nimmt an diesen Plebisziten kontinuierlich teil? Wie werden Minderheiten geschützt? Ohne das Vertrauen in gewählte Repräsentanten und die Beständigkeit einmal getroffener Entscheidungen lässt sich weder regieren noch opponieren. Auch die Forderung nach völliger Transparenz ist lebensfremd. Wichtige Entscheidungen können nicht auf dem offenen Markt vorbereitet werden. Dennoch bleibt die Forderung: so viel Transparenz wie möglich.
Die totale Hinwendung zum Internet schafft zwar viele neue Möglichkeiten, wird aber von der Gefahr begleitet, dass die reale Welt der Sinne verarmt.
Ich könnte mir vorstellen, dass eines Tages ein Rückzug aus der Verabsolutierung des Internets stattfindet. Vieles auf diesem Feld ist in gärender Bewegung - auch bei den Piraten. Auf jeden Fall sollten sich die Altparteien, die auf manche Fragen auch keine Antwort haben, vor besserwisserischer Arroganz hüten.
Beim Thema der Bürger- und Freiheitsrechte beanspruchen inzwischen die Grünen die Rolle, in der sich lange Zeit die FDP als politische Kraft gesehen hat. Droht nicht auch hier eine Entwicklung, dass die Liberalen ihre klassischen Themen kampflos einem Mitbewerber überlassen?
In der Tat, im Laufe der Jahre sind die Grünen in liberales Wählerpotenzial eingedrungen. Sie haben vor allem das Umweltthema besetzt, das ihnen die FDP kampflos überlassen hatte. Aber sie sind damit nicht zu einer liberalen Partei geworden. Den Bereich der Bürger- und Freiheitsrechte hat die FDP in ihren Koalitionen mit der SPD und vor allem mit den Unionsparteien immer sehr entschieden vertreten. Ausdrücklich nenne ich hier die Rolle von Burkhard Hirsch und mir in Opposition zu der Politik von Strauß, Zimmermann und Kohl. Heute hat Sabine Leutheusser-Schnarrenberger diese Rolle gegenüber den CDU/CSU-Partnern übernommen, und zwar viel kämpferischer als die Grünen gegenüber Schily damals in der rot-grünen Koalition. Die Grünen haben zum Beispiel die problematischen Teile der Antiterrorgesetze mitgetragen und das Luftsicherheitsgesetz, das auf unseren Antrag hin in weiten Teilen von Karlsruhe für verfassungswidrig erklärt wurde.
Also bis auf Weiteres keine Koalition mit den Grünen, auch wenn die neuen Mehrheitsverhältnisse ein Dreierbündnis im Bund und manchen Ländern notwendig machen würden?
Das habe ich damit nicht gesagt. Wenn wir auf Dauer Große Koalitionen vermeiden wollen, die allein schon durch das Auftreten der Piraten drohen, dürfen Ampelkoalitionen nicht ausgeschlossen werden. Es gibt durchaus eine Nähe zu bestimmten Wählern der Grünen, die liberal denken und auch die FDP gewählt haben oder hätten. Vor allem in den großen Städten haben die Liberalen die Anziehungskraft der Grünen unterschätzt. Die Grünen sind im liberalen Bürgertum heute stärker verankert als die FDP. Das erklärt das
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