Meine Wut ist jung
Burkhard Hirsch verbunden waren, und er stellt fest, dass Baum und Hirsch »in der Partei immer noch eine beachtliche Rolle spielen«. Menschen brachten mir ihre Sympathie entgegen und erklärten gleichzeitig, dass diese meiner Person, aber nicht der FDP gelte. Dennoch habe ich mich noch einmal um ein Mandat beworben. Ich wollte die Partei zwingen, Farbe zu bekennen, ob sie noch zu meiner politischen Richtung stand. Ich scheiterte.
Diese Niederlage hatte auch ihr Gutes. Ich war gerade 60 Jahre alt und hatte noch Zeit, um etwas Neues aufzubauen. Diese Perspektive hatte ich mir schon als Abgeordneter vorbereitet. Ich hatte wieder Lust an einer anwaltlichen Tätigkeit und wollte in diesem Bereich aktiv werden. Ich hatte auch Lust, durch eigene Leistungen mein Einkommen bestimmen zu können. Bis dahin bezog ich nur gesetzlich festgelegte Bezüge. Nun war ich plötzlich ein Freiberufler, ein Unternehmer. Mein neues berufliches Leben habe ich ohne Protektion oder Hilfe irgendwelcher Netzwerke innerhalb oder außerhalb der Partei aufgebaut. Entscheidend waren gleichgestimmte Freunde, mit denen ich zusammenarbeiten konnte.
Die ersten Projekte habe ich zusammen mit meinem Kollegen Elmar Giemulla durchgeführt. Er ist ein ausgewiesener Experte für Luftverkehrsrecht. Später konzentrierte ich mich auf die Zusammenarbeit mit Julius Reiter. Reiter arbeitete bereits als Student der Rechtswissenschaften in meinem Abgeordnetenbüro. Schon hier zeigte er sein ausgeprägtes politisches Interesse, sein Kommunikationstalent und seinen Unternehmungsgeist. Er folgte von Anfang an meinem politischen Grundverständnis und meiner Bewertung politischer Zusammenhänge. Es entwickelte sich ein intensiver Austausch, eine Freundschaft, die schließlich vor elf Jahren zur gemeinsamen Anwaltskanzlei »baum, reiter & collegen« führte. Ich war beeindruckt von dem unternehmerischen Mut und der Energie von Julius Reiter und seiner jungen Mannschaft, von ihrem Arbeitseinsatz und ihrer Verbundenheit mit der Philosophie der Kanzlei, die inzwischen 14 Anwälte beschäftigt. Stellvertretend nenne ich Olaf Methner, der von Anfang an dabei war. Wir kämpfen vor allem für die Rechte geschädigter Kunden und Anleger im Finanzdienstleistungsbereich - oft »kleine« Anleger im Rentenalter, die im Vertrauen auf ihre Berater ihre Altersversorgung verloren haben, aber auch Prominente und mittelständische Unternehmer, deren Lebenswerk durch Falschberatung finanziell zerstört wurde. Viele dieser Menschen befinden sich wegen ihres wirtschaftlichen Schiffsbruchs in einer Lebenskrise, aus der wir ihnen in den Verhandlungen mit den Banken herauszuhelfen versuchen.
Hatten Sie ein bisschen Angst vor dem Risiko, dass Ihr neuer Lebensplan misslingen könnte?
Ehrlich gesagt nein, weil sich alles stufenweise entwickelte. Zunächst spielte in meiner neuen anwaltlichen Tätigkeit der Bereich Luftverkehr eine große Rolle. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde Beratung osteuropäischer Staaten auf diesem Gebiet notwendig. Mit dem Freund und Kollegen Elmar Giemulla und auch mit anderen Partnern wie etwa der Lufthansa wurden Gesetzes- und Organisationsdefizite behoben, die die neuen Staaten Osteuropas hatten - dies vor allem im Auftrag der EU-Kommission. Ich war also sehr oft in den osteuropäischen Staaten unterwegs, vor allem in Moskau, Kiew, Minsk, aber auch in den Kaukasus-Staaten, und habe dort den Aufbruch miterlebt. Eine aufregende Zeit, diesen Übergang nach Jahrzehnten der Diktatur mitzuerleben.
Wie sahen Sie Ihre Rolle als sogenannter Opferanwalt?
Diese Bezeichnung gefällt mir eigentlich nicht, sie ist abgenutzt. Ich war und bin Anwalt von Geschädigten. Mich haben Menschen, die schwach sind und die für ihr Recht kämpfen, immer mehr interessiert als diejenigen, die mächtig sind. Deshalb bin ich nicht wie andere Politiker-Kollegen zu einer Versicherung gegangen oder zu einem Finanzdienstleistungsunternehmen.
Ich werde nie vergessen, wie ich in der Lok-Halle in Göttingen vor Tausenden von Geschädigten stand und redete. Sie waren durch überteuert gekaufte »Schrott«-Immobilien um ihre Alterssicherung betrogen worden. Ich schaute dabei in die Gesichter der Abgezockten. In diesen spiegelten sich ganze Lebensschicksale.
Aufgrund der verbraucherfeindlichen Rechtsprechung war es schwierig, den Geschädigten vor Gericht zu ihrem Recht zu verhelfen. Insbesondere die Beweislastverteilung vor Gericht machte es kaum möglich, Prozesse zu gewinnen.
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