Meine Wut rettet mich
gefragt wurde, zu einem Zeitpunkt, als hier so manches verfahren war 37 , habe ich sie erneut gefragt. Sie sagten: »Gut, dann ist das eben der Beitrag unserer Kongregation an den Orden, einer muss es ja machen.« Aber: Ich klebe an keinem Amt, ich kann jederzeit zurücktreten. Auch wenn sich das viele nicht vorstellen können. Ich wurde bald nach der Wiederwahl 2008 von vielen gefragt, was ich 2012 mache, wenn die nächsten Wahlen sind. Meine Antwort: »Lasst mich in Ruhe mit solchen Fragen.« Ich habe nichts vor, ich mache das, was zu diesem Zeitpunkt, den ich noch nicht voraussehen kann, in meinen Augen angemessen und aus meiner Sicht verantwortlich erscheint, nicht mehr und nicht weniger.
Ein Nein ist zugleich auch ein Ja. Ein Ja zu St. Ottilien.
Wenn ich hier Nein sage, dann gehe ich wieder nach St. Ottilien zurück. Aber da habe ich schon wieder hinter meinem Rücken gehört: »Der wird ja nie wieder in Reih und Glied eintreten.« Die werden sich anschauen! Ich lege den Ring ab und das Brustkreuz. Ich brauche das nicht. Ich freue mich am Gebet. Ich möchte mal wieder mehr Zeit haben zu beten und zu studieren, mehr Zeit als jetzt. Und dann muss ich ja auch etwas tun für meinen Lebensunterhalt in der Gemeinschaft. Irgendwann kommt dann der Tag, an dem ich vielleicht bettlägrig werde und mich von anderen bedienen lassen muss. Das wird nicht leicht sein, weil ich so etwas nie möchte, aber das muss ich dann genauso akzeptieren.
Zum Jahresende 2010 wurde der »Rheinische Merkur« reduziert auf ein Supplement der »Zeit«. Die katholische Publizistik hat damit ihr Flaggschiff innerhalb der Publikumsmedien verloren, die katholische Position zu allen möglichen Lebensfragen wird zumindest weniger deutlich zu hören sein. Inwiefern ist dies für Sie ein beunruhigendes Zeichen?
Es wird zur großen Herausforderung, in den üblichen Medien mehr präsent zu sein. Wir brauchen gar nicht immer unser eigenes Süppchen. Wichtig ist, da präsent zu sein, wo die Welt kocht, und dort die Leute zu überzeugen. Das lässt sich mit Glaubwürdigkeit und mit Authentizität machen. Mir geht es auch nicht nur darum, selbst aufzutreten. Wichtig ist, im Gespräch zu sein mit den Menschen, die Medien machen. Ich habe vorhin mit einem Fernsehmoderator telefoniert. Wir verstehen uns gut, obwohl er sehr kritisch ist, und halten einfach Kontakt. Dieses Miteinander, sich Ansprechpartner sein, Freund, das ist wertvoll. Dadurch kommen dann auch Glaubensthemen anders rüber, als dies sonst der Fall wäre. Gerade bei guten Medienmenschen herrscht oft Enttäuschung über die Kirche.
Was, denken Sie, hat diese Medienleute so enttäuscht?
Zum Beispiel, dass in der Kirche Missbrauchsfälle vertuscht wurden. Vertuschen ist eigentlich das falsche Wort, eigentlich ist »vertuschen« das Unwort des Jahres 2010. Tatsächlich war das ein Problem des Verbergens, des Nicht-eingestehen-Wollens und der mangelnden Transparenz. Ich habe immer gesagt: »Ich habe nichts zu verbergen, wir können über alles reden.« Dieses Stück Ehrlichkeit wird in der Kirche gesucht, gerade von den Medienmenschen. Die erfahren so viel Lüge, so viel Korruption – in der Politik, in der Wirtschaft, wo auch immer – und finden, zumindest in der Kirche sollte das nicht so sein. Auch einer, der nicht viel glaubt, hegt oft doch die stille Hoffnung, sie sei anders, und sieht die Kirche als Trägerin einer frohen Botschaft.
„ Diese Enttäuschung über die Kirche war 2010 sehr, sehr groß. Ich glaube aber auch, durch all das wurde auch ein idealistisches Kirchenbild zurechtgerückt. ”
Umso größer ist die Enttäuschung, wenn es anders ist.
Diese Enttäuschung über die Kirche war 2010 sehr, sehr groß. Ich glaube aber auch, durch all das wurde auch ein idealistisches Kirchenbild zurechtgerückt. Im Neuen Testament gibt es ein schönes Beispiel, wo Jesus gegen den Perfektionismus redet. Seine Jünger sahen Unkraut mitten im Weizenfeld und wollten es ausreißen. Er hielt sie ab, riet: »Lasst das mal den Herrn der Ernte machen – hinterher, das Unkraut wächst mit dem Weizen.« Er sagt uns damit: Die Realität wird nie ideal sein. Wir hängen die Ideale oft viel zu hoch. In der Bibel finden wir Beispiele für Vergebung und für Aussöhnung. Der Vater freut sich über die Rückkehr des verlorenen Sohns und stellt den vollkommenen Sohn in den Senkel, weil der hart auf seinen Bruder reagiert. Hier spiegelt sich eine andere Mentalität als die, die wir gewohnt sind. Für mich
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