Meine Wut rettet mich
Zeit habe, in Ruhe zu arbeiten. Oder auch zu schlafen. Viele Menschen überlegen sich heute nicht mehr, ob und wie viel Zeit sie anderen Menschen rauben. Auch deshalb lassen sich manche Firmenchefs total abschotten, an sie kommt keiner direkt ran.
Sind Medien ein Missionskanal?
Medien sind eine Verkündigungsplattform. Ob sie jemand annimmt oder nicht, ist dessen Sache. Verkündigung ist nie ein gewaltsamer oder ein trickiger Versuch, andere zu überzeugen. Ich möchte davon reden dürfen, was mich trägt. Und das wollen auch viele wissen. Über die Medien ist ein weiterer Kanal offen und ich habe die Verantwortung, ihn zu nutzen. Logisch.
Wie definieren Sie Mission heute?
Als Verkündigung des Evangeliums, der frohen Botschaft Jesu, und zwar mit allen Mitteln, wie verkündet werden kann. Dazu gehört auch das Internet.
Dienen Ihre Reisen auch der Missionierung?
Weniger. Wenn ich reise, dann, um da zu sein, vor Ort, bei den Leuten. Ich reise demnächst nach Indien, dann nach Südafrika und Florida … – dort wollen Leute mit mir diskutieren und ich mit ihnen. Dieses Gegenüber lässt sich nicht durch Konferenzschaltungen oder anderes ersetzen.
Worauf kommt es Ihnen im direkten Gegenüber an?
Es gibt so viel nonverbale Kommunikation, die man nur erleben kann, wenn man da ist. So ist es auch bei meinen Auftritten, bei Vorträgen und Lesungen. Die Leute kommen, weil sie mich erleben wollen und nicht nur meine Positionen kennenlernen. Dazu gäbe es ja die Bücher. Und ich will die Leute erleben. Ich sehe in ihren Augen, ob sie mich verstanden haben, kann erfassen, ob sie mitgehen, kann notfalls nachlegen oder auf Kritik eingehen. Eine Rede ist für mich immer auch ein Dialog. Ich finde eigentlich schlimm, dass manche nachher die Rede schriftlich wollen. Dann ist es eigentlich nur noch eine Schreibe, keine Rede mehr.
Besichtigen Sie auf Ihren Reisen auch konkrete Projekte?
Früher habe ich das oft gemacht. Aber jetzt bin ich ja kein Unternehmer mehr in dem Sinne, ich kann selbst nichts mehr direkt anstoßen, sondern nur noch beraten. Ich werde oft um Rat gefragt und bin dazu auch bereit, aber eher bei Fragen, die die Gemeinschaft angehen, oder bei Problemen. Und manchmal entdeckt man aufgrund seiner Erfahrung sofort etwas, das andere übersehen haben. Mir hat man mal bei einem Besuch den Bauplan eines neuen Klosters gezeigt. Mir fiel sofort auf, dass man das Ganze umdrehen musste, die Pforte war auf der falschen Seite. »Stellt euch das mal praktisch vor«, habe ich gesagt, und sie haben den Plan dann geändert.
Als Abtprimas sind Sie verantwortlich für 800 Klöster weltweit. Das ist eine gewaltige, globale Managementaufgabe, ähnlich der von international tätigen Wirtschaftsbossen. Mit welchem Berufsethos gehen Sie diese Aufgabe an?
Ich überlasse die eigentliche Verantwortung den Einzelnen und arbeite nicht zentralistisch. Wir sind eine Konföderation, ich bin deren oberster Repräsentant, aber ich bin nicht dafür verantwortlich, was in den einzelnen Klöstern läuft, höchstens mittelbar, wenn ich zu einer Beratung hinzugezogen werde. Es spielt natürlich eine Rolle, was ich an der Spitze tue, denn das ist ja auch sichtbar. Aber die Verantwortung bleibt beim Oberen des jeweiligen Klosters.
Bei Ihnen wird das Gelübde ja auch auf ein Kloster, nicht auf den Orden abgelegt. Und man tritt in ein Kloster ein, nicht in den Orden. Eine gewisse Ähnlichkeit mit Wirtschaftsunternehmen und ihren Filialbetrieben und Niederlassungen besteht. Empfehlen Sie Ihren Führungsstil auch solchen Unternehmen?
Ich empfehle, möglichst das Subsidiaritätsprinzip einzuhalten und föderativ zu denken. Ein Manager muss die Dinge nicht selbst tun. Ein Mensch an der Basis weiß oft viel mehr als er. Die Managementaufgabe besteht in der Koordinierung und in der Vision, wie das Ganze weiterlaufen soll. Dabei muss sich der Manager von anderen inspirieren lassen. Management ist keine einseitige Sache.
Ihr Buch »Worauf warten wir? Ketzerische Gedanken zu Deutschland« war ein Riesenerfolg. Es erschien 2006, in einem Jahr, in dem in Deutschland Ärztestreik und Streiks im öffentlichen Dienst für Schlagzeilen sorgten, Gewalt an den Schulen, die Superstimmung bei der Fußball-Weltmeisterschaft und die Angst nach den Massendemonstrationen, die in arabischen Ländern wegen der Mohammed-Karikaturen in dänischen Zeitungen angezettelt worden waren. Sie haben in Ihrem Buch die Widersprüchlichkeit der deutschen Gesellschaft
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