Meine Wut rettet mich
Netzwerke? Manche Geistliche sind sehr aktiv auf Facebook, Twitter und Co.
Vor zwei Jahren habe ich einen jungen Zivildienstleistenden gebeten, mir Facebook zu erklären. »Lassen Sie es bleiben, Vater Abt«, sagte er, »das bringt nichts.« Inzwischen ist mir klar, was »Facebook« bedeutet, und ich bin froh, dass ich nie reingegangen bin, weil die Daten nie mehr gelöscht werden. Darunter sind viele Daten, die niemanden etwas angehen. Wenn Zuckerberg 38 sagt, »privacy« gehöre der Vergangenheit an, dann finde ich das ungeheuerlich. Es ist eine Unverschämtheit, wenn so ein junger, arroganter Typ die ganze Welt bestimmen möchte. Und ich finde es traurig, wenn so viele Leute so dumm sind, darauf reinzufallen.
Was stört Sie besonders?
Vor allem junge Leute empfinden Exhibitionismus nicht mehr als störend. Das sieht man nicht nur auf Facebook, das sieht man auch an der Mode. Und sie schreien erst auf, wenn etwas passiert ist. Mir schrieb neulich einer, er habe sich lange nicht gemeldet, weil er nun weit über 500 Freunde bei Facebook habe. Mich entsetzt das, das sind doch keine Freunde! Und ich möchte auch nicht unter die 531 Facebook-Freunde eingereiht werden. Ich habe ihm auf diese Mail nur aus pastoraler Barmherzigkeit heraus noch geantwortet.
Wo ziehen Sie die Grenzen hin zum Privaten?
Die lassen sich nicht objektiv ziehen, jeder muss spüren, wo sie liegen.
Geben Sie bitte ein Beispiel.
Wir hatten einen Schulkameraden, der in München auf Lehramt studierte. Er war so über beide Ohren verliebt, dass er sich nicht in der Lage sah, seine Zulassungsarbeit zu schreiben. Also haben zwei weitere Freunde und ich sie für ihn geschrieben. Dazu haben wir uns manchmal auch in seiner Wohnung getroffen. Und da lagen Liebesbriefe rum. Die anderen haben sich mokiert, sie teils gelesen, ich wollte das nicht und sagte: »Legt die Briefe weg.« Man muss den Respekt bewahren. Ich ziehe dem anderen ja auch nicht die Unterhose runter. Und ich möchte gar nicht sein ganzes Innenleben kennenlernen. Das ist der Stil von Gesellschaftsblättern und Boulevardzeitungen.
Plädieren Sie für eine »Ethik des Unterlassens«, auch in den Medien?
Ja. Wir hatten das gegenüber Politikern lange Zeit. Politiker hatten »privacy«, solange das, was sie da machten, nichts mit ihrem Amt zu tun hatte. Es geht aber natürlich nicht, dass man seine Affäre nachher zur Ministerin ernennt … Es gibt eine unberechtigte Neugier. Es hat nicht jeder das Recht auf eine Antwort auf alles und schon gar nicht darauf, alles zu wissen.
„ Es gibt eine unberechtigte Neugier. Es hat nicht jeder das Recht auf eine Antwort auf alles und schon gar nicht darauf, alles zu wissen. ”
Das ist nicht nur das Problem des Fragers, sondern auch des Antwortenden.
Stimmt, auch da fehlt heute vielen das Gespür. Sie geben Dinge preis, die sie besser für sich behalten hätten, kriegen aber die Wut, wenn sie plötzlich feststellen, wie entblößt sie sind.
Wen sehen Sie in der Verantwortung für mehr Medienkompetenz?
Zunächst das Elternhaus. Doch da wissen viele auch nicht Bescheid oder gehen alldem selbst auf den Leim, lassen sich treiben, statt gezielt auszuwählen.
Inwiefern ist die Kirche in der Verantwortung?
Sie sollte Position beziehen. Ich erwähne oft, wie wichtig Individualität und die Würde des Menschen sind. Aber ich kann diese Entwicklungen natürlich nicht verändern. Ein Problem ist die schwindende Fähigkeit vieler, Öffentliches und Privates voneinander abzugrenzen.
Erreichbarkeit ist ja auch ein Teil der Seelsorge, man ist sozusagen öffentlich ansprechbar. Andererseits hat auch ein Seelsorger eine Privatheit. Welche Veränderungen beobachten Sie da?
Wenn mich früher jemand besuchen wollte, musste er an die Klosterpforte kommen und fragen, ob ich runterkomme, oder er musste mir einen Brief schreiben. Ich will diese frühere Zeit nicht als rosig darstellen, aber heute rufen Leute zu allen Tages- und Nachtzeiten an, wenn sie einmal die Nummer herausgefunden haben. Ich muss für den Orden verfügbar sein und habe deshalb auch eine Umleitung auf meine private Nummer. Ich möchte da den Leuten keinen Vorwurf machen, denn manche sehen gar nicht, was sie da tun. Das geht bis zum Stalking, man fühlt sich manchmal regelrecht verfolgt. Manche rufen spät an, weil sie denken, da erreiche ich ihn am besten. Und manche meinen wirklich, sie könnten einfach anrufen, um mit mir zu plaudern. Die sehen nicht, dass ich froh bin, wenn ich irgendwann
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