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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
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geschimpft: »Warum gehst du ins Kloster?! Du könntest Geld machen, Geld, Geld.« Er wollte mich wachrütteln. Ich habe ihn nur grinsend angeschaut und gesagt: »Na und?«
    Haben Sie ihn später überzeugen können?
    Dieser Onkel hat geschuftet und geschuftet, um alles Mögliche zu besitzen. Dann aber, als er schwer krebskrank war, hat er zu mir gesagt: »Du hast es doch richtig gemacht.« Eine alte Frau nahm mich am Grab ihres Mannes beiseite und meinte, im Grunde sei uns alles nur geliehen. Das ist Weisheit.
    Ein anderer Onkel von Ihnen war aus anderen Gründen wenig begeistert, dass Sie ins Kloster gingen. Er war in einem Waisenheim in klösterlicher Trägerschaft aufgewachsen, in dem unerträglich autoritäre Zustände herrschten.
    Von den Hintergründen erfuhr ich erst später. Ich idealisiere die Klöster nicht. Es gibt allerhand, frömmelnde Brüder, Tabuisierungen und so weiter. Ich habe nur von zwei, drei Fällen bei uns erfahren, bei denen es Übergriffe auf Schüler gab. Und dies auch nur am Rande, ohne Genaues zu wissen. Während meiner Studienzeit bekamen wir einen neuen Lehrer, er hatte Pädagogik studiert, und wir waren froh, endlich so jemanden zu haben. Von einem Tag auf den anderen war er weg, wir hatten keine Ahnung, warum. Beim anderen hörte man mal was munkeln nach dem Motto: »Das darf auf keinen Fall ein Abt erfahren.« In den Neunzigerjahren hatte ich mit einem Fall direkt zu tun. Ein Lehrer hatte einen Jungen so verprügelt, dass sein Gesicht geschwollen war. Ich habe mir den Jungen angeschaut und dann sofort den Lehrer entlassen, obwohl ich mit ihm nicht einmal vorher reden konnte, weil er auf einer Reise nach England unterwegs war. Als er zurückkam, war er bitter enttäuscht über meine Entscheidung. Ich entgegnete, so ein Verhalten könne ich nicht zulassen. Es folgte ein Gespräch mit dem Jungen und mit der Mutter des Jungen, in dem der Lehrer um Verzeihung bat. Sie verzichteten auf eine Anzeige.
    In der öffentlichen Wahrnehmung gewann man, vor allem in den Fällen von sexuellem und körperlichem Missbrauch, den Eindruck, die Kirche »löse« Probleme, indem sie die Täter versetze und letztlich die Probleme nur verschiebe.
    Eines wird zu wenig gesehen: Man wusste einfach nicht, was dieser Missbrauch bei den Opfern wirklich anrichtet, das war nicht bekannt. Wurde ein Übergriff bekannt, dann galt dieser als Verstoß gegen das sechste Gebot. Derjenige musste zur Beichte gehen, bekam eine Buße. Es ging nicht darum, ihn zu decken. Natürlich durfte das, was er getan hatte, nicht sein, und natürlich war das eine schwere Sünde.
    Wird da nicht nach zweierlei Rechtskodizes vorgegangen und kirchliches über staatliches Recht gestellt?
    Nein, wo offenkundig war, dass Missbrauch vorlag, haben wir das strafrechtlich abgehandelt. In den Fällen, wo nur gemunkelt wurde, mussten wir anders vorgehen. Die meisten sind ja nie ganz rausgerückt mit der Sprache. Beichtväter können deshalb in eine schwierige Lage geraten. Auch bei Wahrung des Beichtgeheimnisses müssen sie den Beichtenden klarmachen, dass es eine billige Lossprechung nicht gibt, nach dem Motto: »Schwamm drüber.« Vergeben wird eine Sünde nur, wenn echte Reue da ist. Zu einer echten Reue gehört, unangenehme Konsequenzen zu tragen, bis hin zur Selbstanzeige. Ein Beichtvater kann einen dazu aber nicht zwingen.
    Und was sollte die Versetzung nutzen?
    Man hat wirklich gehofft, an einem anderen Ort wäre alles anders: andere Umgebung, andere Menschen. Man hat den Betreffenden in den Senkel gestellt, der hat auf Treu und Glauben versprochen, so etwas nie wieder zu tun. Und ich nehme so jemandem das ab. Es ist wie bei Alkoholikern, die haben auch die Kontrolle über sich verloren. Viele wollen es nicht wahrhaben, bis sie wieder auf der Nase liegen. Diese Menschen hatten zum Teil wirklich die besten Absichten, rutschten dann aber immer noch tiefer rein.
    Steckt dahinter nicht in Wirklichkeit eine Doppelmoral? Die Kirche zahlt ja wohl auch Alimente für bis zu drei Priesterkinder, wenn dies nicht öffentlich wird.
    Das wird kolportiert, mir selbst ist nichts dergleichen bekannt. In zwei, drei Fällen, in denen Brüder zu mir kamen und um Dispens baten, riet ich ihnen sogar, die Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen. Das war für mich keine Frage.
    Man könnte auch auffordern, zu diesen Kindern zu stehen.
    Das habe ich durchaus getan. Andererseits sagt der heilige Benedikt, der Abt solle verborgene Fehler nicht aufdecken, aus

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