Meine Wut rettet mich
manchmal unmenschlich zu sein. Ich hätte aus eigenem Antrieb niemals Philosophie studiert und auch nie in Rom, sondern Sprachen – in München. Doch genau dieses Studium hier hat mir so vieles eröffnet, eine internationale Lebensmöglichkeit, die so bereichernd wurde, wie ich mir das nie ausgemalt hätte. Das ist die Gnade und das Geschenk des Gehorsams. Wenn ich mich widersetzt hätte oder wenn ich mir selbst mein Leben ausgesucht hätte, dann wäre es klein geblieben. Ich wäre wahrscheinlich Lehrer geworden mit einer Familie, zumindest dann, wenn ich mir meinen ersten Traum erfüllt hätte, den ich an der Oberrealschule hatte, als die Leute meinten, ich müsse Priester werden, ich aber fand: »Nein, Lehrer.« Vielleicht wäre ich Studienrat geworden, möglicherweise Oberstudiendirektor, vielleicht hätte ich in einer kleinen Familie ein Lebensglück gefunden … – ich will ein solches Leben nicht abwerten. Aber ich darf heute sagen: Der Weg, auf den ich durch den Gehorsam gelangte, hat mir eine Bereicherung eröffnet, die ich mir nie erträumt hätte.
Und durch die Sie andere bereichern.
Ja, heute bekomme ich vieles zurück, ich sehe, was aus dem wird, was ich angestoßen und »angestellt« habe. Ich kann schon beinahe mit dem greisen Simeon der Bibel sagen: »Nun, Herr, lässt Du Deinen Knecht in Frieden sterben.« Ich habe getan, was ich tun musste. Und ich habe immer das getan, was ich für notwendig hielt – aus der Verantwortung heraus.
Sie durften zwar nicht das Hauptfach wählen, aber die Vertiefung, und entschieden sich für die Naturphilosophie. In ihr finden sich Dynamik und Wandel, sie setzt sich mit dem Wesen des Menschen auseinander, begreift Tugenden als natürliche Dispositionen und als Grundlagen der Ethik. Was schöpfen Sie vor allem aus ihr?
Die Erkenntnis: Vieles liegt in der Natur des Menschen, vielerlei steckt in ihm. Mein Bemühen ist, frei zu sein und zu bleiben für meinen Weg.
PORTRÄT
Kapuziner, Männerfischer, Medienmeister
Paulus Terwitte ist ein Mönch wie aus dem Bilderbuch. Stattliche Statur, braune Kapuzenkutte, die Schnurkordel mit den Knoten für die Gelübde Ehelosigkeit, Gehorsam und Armut umfängt einen üppigen Bauch – sein Bart ist grau meliert, die Augen blitzen freundlich, sein Bass klingt sonor.
Durchs halb offene Fenster dringen Straßenmusikfetzen ins Besprechungszimmer, Kirche und Kapuzinerkloster Liebfrauen liegen an der Zeil, mitten in Frankfurt, dort wo Tag für Tag Shoppinglustige, Gestrandete, Touristen, Straßenmusiker und aus der U-Bahn-Station »Hauptwache« hastende Berufstätige für einen kurzen Moment aufeinandertreffen.
Der Kapuzinermönch macht Tradition gegenwärtig. Seine Mailbox funktionierte er zum Beichtstuhl um. Fernsehstudios nutzt Paulus als Kanzel, von der er der Wohnzimmergemeinde katholische Soziallehre, Solidarität und Gottesliebe predigt: samstags 17.28 Uhr (»So gesehen«), zweimal im Monat sonntags um 9 Uhr (»So gesehen – Talk am Sonntag« mit Prominenz von Schlagerstar Bernhard Brink bis zu Hirnforscher Manfred Spitzer); beide Sendungen laufen auf SAT1. Im Februar 2011 empfing er die öffentlich-rechtliche Gläubigen-Gemeinde in seiner Kirche zum ZDF-Fernsehgottesdienst. Montags um 22 Uhr setzt er sich eine Stunde lang für ein Nachtgebet ans Mikrofon des Domradios Köln (»Komplet und Gespräch zur Nacht«). Er verbindet dann einen tagesaktuellen Anlass mit der christlichen Lehre und mit Fragen eines Christenmenschen – zum Beispiel den Massenmord in Oslo und auf der norwegischen Insel Utøya im Juli 2011 mit der Frage nach den Abgründen der menschlichen Seele.
Paulus tritt auf wie Gottes Regierungssprecher und Außenminister in Personalunion. Er will »Öffentlichkeit für den Glauben herstellen« und bewirken, dass nicht länger nur zwei von hundert Nachrichten in den Medien kirchlicher Natur sind – und dann meist nur solche, die von Sex oder Missständen in der Kirche handeln. Deshalb gründete er zusammen mit Ordensleuten die Produktionsgesellschaft DOK TV & Media GmbH, bei der religiöse Gemeinschaften Filme über ihren sozialen Einsatz und ihre geistlichen Quellen in Auftrag geben können, sowie den Verein Sendung e.V., der sie bei ihrer Medienarbeit unterstützen will. Ende 2010 übernahm er den Vorsitz des »Katholischen Pressebunds«, um von dort aus der katholischen Publizistik generell weitere Impulse zu geben.
Paulus ist bereit, überall auf Erden die Vorzüge des Himmelreichs zu präsentieren: im
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