Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
Vom Netzwerk:
gewinnen sind, lockt er mit dem »Schnellkost«-Bändchen »99 Minuten Bibel«. Zuweilen rutscht er in Holzschnittrhetorik ab. Er nannte den Buddhismus einmal die »unmenschlichste Religion«, weil sie nach dem Nichts strebe. Das trug ihm die spöttische Empfehlung ein, er möge als Schweigemönch wiedergeboren werden. Der wortgewaltige Kapuziner liebt »Höllenfloskeln« (»auf Teufel komm raus«, »weiß der Teufel«) und die Provokation. Er verkauft Managern »Ethik als Schmierstoff der Wirtschaft«, seine Kutte bezeichnet er als Geschäfts- und Showkleidung: »Mit Habit sehe ich aufregender aus«, grinst er und hebt den Rock, um seine schwarzen Jeans zu zeigen. »Ich bin auch ein Clown, ich mache viel Klamauk mit«, sagt er und: »Manchmal frage ich mich, wie echt ich noch bin.«
    Der Kapuziner will noch mehr. Zeitweise träumte er von einer täglichen Fernsehshow, er plante einen internationalen Gebetstag, an dem Menschen überall zur gleichen Zeit die Hände falten. Und er empfahl sich als Headhunter Gottes auf der Jagd nach den besten Männern für seinen Orden. In Kirchensprache: Er zog im Februar 2006 um ins Kloster Dieburg und übernahm die Berufungspastoral; 2009 wurde er für die Nachwuchswerbung in der Kapuzinergemeinschaft Käppele in Würzburg zuständig. Seine Aufgabe war also, Menschen bei der Entdeckung ihres Wegs der »Berufung zum Mensch- und Christ-Sein« zu helfen: Das kann eine Berufung zu ehrenamtlichen Diensten bedeuten, aber auch eine zu einem Leben als Priester oder Bruder. Paulus übernahm diese Aufgabe wieder auf eine Weise, die ihm medial Aufmerksamkeit verschaffte. Das Kloster in Dieburg nannte er »Assessment-Center« für künftige Mönche und er erklärte, die Zeit sei günstig: »Viele Männer leben nicht nach ihrer Passion. Sie orientieren ihre Berufswahl an der Meinung der anderen und am Verdienst.« Er suche Männer, die ihr Leben meistern: den tollen Familienvater, den Sparkassenchef, der Verantwortung tragen kann. Und Menschen, die selbstständig sind und wirklich auf der Suche nach Lebenssinn. Er erzählte zum Beispiel von Thomas. Der 21-jährige Pole stand pünktlich zum Bewerbungsgespräch am Klostertor. »Nach zwanzig Minuten war er noch da. Damit hatte er seine erste Prüfung bestanden«, schmunzelt Paulus. »Bei uns ist die Klingel kaputt. Wer bleibt, zeigt Beharrlichkeit und Überzeugung.« Acht Minuten später war die zweite Hürde genommen. »Ich habe ihm ein Geschirrtuch in die Hand gedrückt. Da sehe ich schnell, ob einer kommt, weil er ein schönes Essen haben und in einem schönen Land leben möchte, ob ihn seine Mutter noch immer pudert oder ob er ein Freigelassener ist, der ein Herz und einen Blick für das Notwendige hat.«
    Weltweit gibt es gut 11.000 Kapuzinermönche, 140 in Deutschland. Der Orden bleibt wählerisch; es kann sein, dass sich zehn bewerben, aber nur einer genommen wird. Jeder, der passt, kann bleiben. »Für jemanden, der Dienst an den Armen verrichten will, gibt es bei uns immer Platz.« Nicht immer hält der Entschluss tatsächlich lebenslang. Ein Bruder, der das Kloster verlasse, koste den Orden 50 000 Euro Sozialleistungen, schildert Paulus. Werde einer Vater, könne er, trotz Zölibat, bleiben und das Kloster komme für das Kind auf; eigentlich für bis zu drei Kinder, aber nur, wenn derjenige sich nicht öffentlich zu seiner Vaterschaft erkläre. Und manchmal kehre ein ehemaliger Bruder im Alter ins Kloster zurück.
    Nach knapp fünf Jahren, Ende 2010, wechselte Bruder Paulus wieder in das Kloster Liebfrauen und leitet seither die City-Pastoral im Brennpunkt Frankfurts. Er erlebt hautnah die Probleme der Armen und Nichtsesshaften und schöpft daraus Argumente für seine Gesellschaftskritik. Sie zielt in alle Richtungen. »Wird es hart, dann klagen viele: ›Das ist doch kein Leben!‹ – Doch genau so ist das Leben.« Man müsse Gott vertrauen und man müsse mit Schwierigkeiten umgehen lernen und sein Schicksal in die Hand nehmen. »Warum sagt uns ein Hartz-IV-Empfänger nicht, wie schlecht es ihm geht? Gott lehrt, wir sollen herrschen, und das heißt, wir sollen uns nicht kaputt machen lassen. Wir können immer wieder neu anfangen.«
    Das Leben sei zwar göttlich geführt (»Heute noch könnte etwas geschehen, durch das ich morgen nicht mehr bei den Kapuzinern bin.«), aber die Verantwortung trage jeder Mensch selbst. »Sünde fällt auf uns zurück«, erklärt Paulus. Egal auf welchem Posten man ist. Banker, die einander nicht trauen

Weitere Kostenlose Bücher