Meine Wut rettet mich
Frühkommunion. Zu Hause gingen Klerikale, Benediktinerpater und Nonnen ein und aus. Die Mutter sang ihn mit Marienliedern in den Schlaf. Und als er dem Dekan und Münsterpfarrer, der oft bei den Eltern zu Gast war, anvertraute, »mir gefallen die Mädels so«, vielleicht müsse er sich ja einen anderen Beruf suchen, winkte dieser ab: Bis er so weit sei, gebe es den Zölibat nicht mehr. Es war die Zeit der Aufbruchshoffnung in der katholischen Kirche. Angelo Giuseppe Roncalli, der »Zufallspapst« Johannes XXIII., brachte die Öffnung der Kirche auf den Weg. Abends wurde im Hause Brummer oft gemeinsam mit Freunden geraucht, getrunken und engagiert diskutiert über die Perspektiven, die sich nun zu eröffnen schienen: Frauen im Priesteramt, stärkere Hinwendung zu den Armen und Hilfsbedürftigen und so fort. Als das Zweite Vatikanische Konzil 1965 seine Türen schloss, war Arnd acht Jahre alt. Er hatte etliche Fetzen der abendlichen Debatten aufgesogen, vor allem die Begeisterung für das Neue und die Erwartung der Reform des Katholischen für die Gegenwart, das »Aggiornamento«.
Gut zwei Jahrzehnte später, 1987, saß Arnd Brummer, mehr durch Zufall, bei der Trauerfeier für Joseph Kardinal Höffner im Kölner Dom. Tatsächlich war er Journalist geworden, nicht Priester, und seit ein paar Monaten Korrespondent in Bonn, damals die Bundeshauptstadt. Bei der Trauerfeier saß er eigentlich einem Kollegen zuliebe. Der bat Brummer, einzuspringen und über die Trauerfeier zu berichten, obwohl das eigentlich nicht dessen Spezialgebiet war, damit die Redaktion nicht nur auf eine Agenturmeldung angewiesen war; einen anderen Korrespondenten habe man gerade nicht. Die Predigt hielt Kurienkardinal Joseph Ratzinger, jetzt Papst Benedikt XVI. Der Kardinal predigte gegen die Versuchungen der Relativierer und Modernisten und gegen die Individualität. Und er rühmte die Standfestigkeit des Verstorbenen, der diesem Zeitgeist nicht nachgegeben, sondern beigetragen habe, dass eherne Glaubenswahrheiten Bestand haben. Brummer kochte. Ihm reichte es. Nicht als Journalist, sondern als Privatmensch, als Katholik. Er ging zu seiner evangelischen Frau und sagte: »Ab jetzt zahle ich die Kirchensteuer in eurem Laden.«
Wie kam es so weit?
Arnd Brummer wurde 1957 in Mergentheim in eine gut katholische Familie hineingeboren und wuchs in Konstanz auf. Beide Eltern waren Journalisten, die Mutter arbeitete für das Suso -Blatt, eine katholische Sonntagszeitung in Konstanz, und zwar in einem Teilzeitvertrag, weil sie drei Kinder hatte. Für damalige Verhältnisse war das ungewöhnlich. Denn man ging davon aus, dass eine Frau ihren Beruf aufgibt, sobald sie Mutter wird. Brummer beschreibt seine Mutter als expressive, sehr engagierte Linkskatholikin, die sich glühend begeisterte für die an den Nöten der Armen orientierte Seelsorge der Franziskaner und für die Befreiungstheologie in Lateinamerika. »Meine Mutter wäre eine traumhafte Priesterin geworden«, schwärmt Brummer. Er ist ihr Ältester, es folgten Zwillinge: ein Bruder, den er als introvertierten Mathematiker beschreibt, und eine Schwester, die ins Hotelfach ging. Er sei in der Familie der »Laberer«, in dem durch die Glaubensdiskussionen zu Hause früh die Streitlust geweckt wurde. Und mit »Labern«, behauptet Brummer, lassen sich auch seine Berufsträume zusammenfassen.
Auslandskorrespondent gehörte dazu. Seine Eltern waren begeisterte Radiohörer. So hörte er, wie »näselnde Korrespondenten« aus Washington oder Moskau 1962 die Kubakrise erklärten – und war beeindruckt: »In der Welt herumrennen und am Mikrofon allen das zu verkünden, was man für richtig und wichtig hält, das fand ich toll.« Auch der Posten eines Oberbürgermeisters gefiel ihm, weil er in Konstanz einen erlebte, der zwar »inhaltlich nicht so toll war, aber toll reden konnte«. Die dritte Option kam durch Ulrich Khuon, heute Intendant des Deutschen Theaters Berlin. Sie lernten sich kennen, weil Arnd Brummer in der Schultheatergruppe war, deren Leitung Khuon neben seinem Studium übernommen hatte. Khuon nahm ihn öfter mit ins Schauspielhaus nach Zürich. Dort erlebte er Therese Giehse auf der Bühne, sah Christiane Hörbiger in der Rolle der Maria Stuart – und fing Feuer: Schauspieler werden, das wäre doch was!
Auch in der Kirche liebte er die Bühne. Er war gerne Ministrant, gab aber letztlich wegen buchstäblich schmerzhafter Erfahrungen auf. Bei den Proben vor den Hochämtern an Ostern und
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