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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
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können nicht abwarten, was wächst, und reißen die ganze Pflanze aus, weil sie diese zwingen wollten, schneller zu wachsen. Der Luther-Satz ist wunderbar: Er hat den Tag über alles getan, was er tun konnte, und sagt dann aber am Abend: »So, lieber Gott, jetzt ist es gut, jetzt lassen wir es wirken.« Dieses Wachsen-Lassen hat letzten Endes mehr bewirkt als die institutionellen Mächte, selbst mit Krieg; die wichtigen Veränderungen entstanden, indem man sie wachsen und sich verwurzeln ließ. Das Problem von Protestanten ist häufig, dass sie noch beim Bier über die Probleme der Welt reden. Also, da müssen wir ein bisschen »katholisch« werden.
    Was meinen Sie genau?
    Bei den Katholiken ist ja bei allem viel Brimborium dabei. Hinzu kommt dann eine sprichwörtliche »katholische Falschheit«, die leicht zu durchschauen ist. Mir geht es um etwas Spezielles: Ich meine die großartige Gelassenheit mancher katholischer Priester, die uns Protestanten auch gut anstünde.
    Was könnten die Protestanten außerdem lernen von der katholischen Mentalität?
    Etwas, das man nicht unbedingt nur von Katholiken lernen kann, sondern auch von anderen Christen und von manchen anderen Menschen: Man muss mal aufhören können, die Welt erlösen und ständig verändern zu wollen, statt sie dankbar zu feiern. Man muss auch das Gute sehen, sich freuen – »Schön, dass es die Welt gibt« – und dankbar auf die Welt schauen. Man sollte nicht immer nur nach den Schwierigkeiten sehen oder noch dann, wenn eine Lösung gefunden ist, in ihr nur die Punkte sehen, die sich nicht umsetzen ließen. Diese Dauerproblematisierung ist eine evangelische Krankheit.
    „ Die Dauerproblematisierung ist eine evangelische Krankheit. ”
    Jeder muss mal Pause machen, innehalten, zufrieden sein, auch nach einem ernsten Gottesdienst fröhlich zusammensitzen können. Oder wie Dietrich Bonhoeffer das formulierte: Man soll mit Gott Schritt halten, ihm also nicht vorausgreifen, aber auch nicht einen Schritt dahinter zurückbleiben. Das finde ich fantastisch, dieses Wort »mit Gott Schritt halten« gefällt mir sehr, das ist ein ganz schöner Satz. Denn ich halte ja nur mit Gott Schritt, wenn er mir hilft, Schritt zu halten. Und das nennt man dann Glauben. Gott hilft mir, Schritt zu halten, ohne dass ich mich irgendwie überhöhen muss, mir eine höhere Weihe zusprechen oder zusprechen lassen muss. Das vollzieht sich in der Unmittelbarkeit des Glaubenden, in der Unmittelbarkeit dessen, der Gottvertrauen hat.
    Und damit auch in der unmittelbaren Beziehung jedes Einzelnen zu Gott, die Luther in den berühmt gewordenen Invocavit-Predigten 1522 erläuterte. 76
    Luther hat klar gesagt, worauf es zuletzt und letztlich ankommt: Jeder steht für sich, keiner kann aus seiner Haut. Jeder bleibt ein Einzelner auf seiner Suche nach sich, nach Liebe und nach einer Lebensaufgabe. Indem er das erläutert entlang der Situation, wenn ein Mensch stirbt, erhebt Luther auch Einspruch gegen unsere katholischen Geschwister, gegen den Brauch in der katholischen Kirche, eine letzte Ölung zu empfangen, also quasi »hinübergeölt« zu werden. Luther will sagen: Jeder muss letzten Endes den Inhalt seines Glaubens für sich selbst anwenden. Das nimmt einem keiner ab. In der Situation, in der wir die Welt verlassen müssen, zeige sich, ob das, was einer glaubt, ihn auch über diese Schwelle hinweg trage. Jeder müsse diese letzte Einsamkeit, den letzten Ernst als Individuum bestehen.
    Glauben ist also individuell und einsam wie das Sterben.
    »Wir sind allesamt zu dem Tod gefordert und wird keiner für den andern sterben, sondern ein jeglicher in eigener Person für sich mit dem Tod kämpfen«, so sagt es Luther. Ich erinnere mich an die Gespräche mit meinem Bischof Krusche 77 einige Monate vor seinem Tod. Er wusste, dass er todkrank war, und wollte keinen Eingriff mehr vornehmen lassen. Und er war stets ein wunderbarer Prediger und Tröster gewesen. Doch ich merkte in unseren Gesprächen, wie er am Ende seines Lebens zu einem tastenden Menschen wurde und sich fragte: »Was ist, wenn ich weg bin? Lasse ich mich darauf ein? Lasse ich den Glauben fahren?« Solche Fragen kommen auf einen zu und mit ihnen ist man letztlich ganz allein, auch wenn man Menschen an seiner Seite hat.
    1986 standen Sie unter Krebsverdacht. In einem Interview schildern Sie, wäre das tatsächlich Ihr Ende gewesen, dann hätten Sie in Frieden gehen können. Als sich der Verdacht zerschlug, habe Sie das ein wenig

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