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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
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zum Friedhof und das Gefühl, schon nur deswegen schuldig zu sein, weil man selbst lebte, wogen unendlich schwer, bereiteten ihn aber letztlich auch vor auf seinen Beruf als Seelsorger. Auch bei seinen eigenen Kindern erinnert er Todesängste – mit Tochter Uta in einem Nordseesturm, mit Sohn Martin an der Saale. Der Eineinhalbjährige rollte im Kinderwagen die Böschung hinab. Der Vater kriegte den Wagengriff im kalten Wasser gerade noch zu fassen. »Leben wir, so leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum, ob wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn«, zitiert Schorlemmer den Apostel Paulus.
    Dreierlei macht einen Menschen aus, sagt er: Erstens die angeborenen Anlagen, zweitens die Prägungen durch andere Menschen – er listet auf: den Vater, den Physiker und Philosophen Carl-Friedrich von Weizsäcker, die Theologen Bonhoeffer, Barth und Gollwitzer, »seinen Bischof« Werner Krusche, den Rhetoriker Walter Jens … Und drittens das, was man selbst aus all den Impulsen und Konstellationen macht.

GESPRÄCH
    »Wacht auf. Regt euch auf.«

    Cornelia Kirsch, Lutherstadt Wittenberg
    Mit Gott tritt man nicht auf der Stelle, sondern man beschreitet einen Weg. f
    Dietrich Bonhoeffer
    Wie sieht ein evangelischer Alltag für Sie persönlich aus?
    (längeres Schweigen) Aufstehen, rasieren, waschen, die Losung lesen. Jedenfalls versuche ich das so. Es misslingt immer mal wieder und ich lese doch wieder zuerst die Zeitung. Aber im Grunde will ich es anders. Zuerst das Wichtige, dann das Vorübergehende, und deshalb habe ich mir angewöhnt: zuerst die Losung und dann die Zeitung. Danach lese ich meistens noch einen Text aus einem Brevier – von Dietrich Bonhoeffer oder Helmut Gollwitzer oder Karl Barth. Von diesen drei Theologen gibt es so wunderbare Texte. So fange ich den Tag an.
    Was war heute dran?
    Gar nichts. Ich war heute sehr früh unterwegs, um meine Enkelin abzuholen, und habe weder die Losung noch die Zeitung gelesen, sondern bin gleich zum Zug gefahren.
    Haben Sie ein schlechtes Gewissen, wenn Sie einen Tag ohne ein christliches Wort beginnen?
    Nein, habe ich nicht. Ich mache das ja nicht zwanghaft. Die Ausnahmen bestätigen eine Regel, die mir ein Bedürfnis ist. Heute ist einfach ein Hetztag. Nachher treffe ich mich noch mit dem Musiker für meine Lesung heute Abend. Waren Sie schon auf dem Töpfermarkt auf dem Marktplatz? Schön, nicht?
    Ja. Die Kreativität und die Vielfalt der Keramiker, die hier ausstellen, beeindruckt. Und die ganze Stadt ist auf den Beinen. Wittenberg macht einen sehr lebendigen, einen gelassenen und fröhlichen Eindruck.
    O ja, Veranstaltungen wie dieser Markt tun allen hier gut. Eine wunderbare Stimmung ist da, so etwas gab es zu DDR-Zeiten nicht.
    Im August 2010 hat Ihnen das Treiben auf dem Marktplatz gar nicht gefallen. Auf Initiative der Geschäftsstelle »Luther 2017« der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat der Künstler Ottmar Hörl 800 Kunststoff-Kopien des Luther-Denkmals, ein Meter klein und in den Renaissance-Farben Rot, Blau und Grün, dort aufgestellt, die er Luther-Botschafter nannte. Sie machten sich zu Luthers Anwalt und ergänzten sein berühmtes Wort »Hier stehe ich, …« mit »ich will hier weg!« Warum?
    Man darf die Anliegen Luthers nicht verzwergen. Die Reformationsdekade 2008 bis 2017 soll die Grundbotschaft der Reformation vergegenwärtigen und den Menschen nahebringen. Zurzeit setzen sich aber die durch, denen es nur um einen Event geht. Man will Luther zum Lockvogel machen und redet auch deshalb viel lieber von einer Luther-Dekade. Dabei gibt es mehrere wichtige Wegbereiter der Reformation. Ausgerechnet in der Stadt Luthers kommt der Reformationsgedanke ganz besonders auf den Hund.
    Am Ende der Aktion wurden die Figuren für 250 Euro pro Stück verkauft – nach überallhin und auch hier am Ort; manche Geschäftsleute stellen sich eine Figur als Werbeträger vor den Laden …
    … den Figurenhandel kann man als Symbol sehen. Luther übte Widerstand gegen den Ablasshandel und genau diese Käuflichkeitsideologie – alles ist käuflich, nicht nur Dinge, auch Menschen haben einen Preis – steckt in diesen Zwergen. Ihr Verkauf ist ein Ablasshandel spezieller Art. Er verführt zu der Annahme, wer eine Plastikfigur kauft, eignet sich damit auch ein Stück lutherischen Denkens an.
    Wofür steht für Sie persönlich Luther heute?
    Für eine klare Haltung: Die Freiheit eines Christenmenschen bewährt sich in der

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