Meine Wut rettet mich
so viele wissen da nicht Bescheid.
Wie viele Dinge, die ich hier, wo ich lebe, machen müsste, tue ich schon nicht! Ich kann nicht noch 600 Kilometer durch die Gegend fahren. Ich muss mich hier einbringen, mich erkundigen: Was geschieht beim Ausbaggern der Elbe mit den Auen? Ich muss mich kümmern, was an meiner Elbe passiert, an der Havel und noch an der Saale. Das ist mein Bereich. Verstehen Sie, was ich meine? Ich habe hohe Achtung vor den Menschen in Stuttgart und verstehe auch, dass ihr Protest etwas spät kam, zu einem Zeitpunkt, als vieles schon entschieden schien. Man muss manches einfach sinnlich erleben, sich wirklich vorstellen, was das heißt, wenn die Bäume weg sind. Das hat mich sehr bewegt und auch der Spott, der den Baumschützern entgegenschlug. Es gibt nur ein Ja oder Nein. Deshalb: Auch wenn ich dort vor Ort lebte, Schlichter hätte ich niemals machen können.
Unter Protestanten gibt es relativ viele, die einem den Eindruck vermitteln, in dieser Welt gebe es so gut wie nichts mehr zu lachen. Woher kommt das?
Wir verdanken Luther die Befreiung von einem strafenden Gott und der Angst vor ihm. Er vermittelte uns die großartige Erkenntnis: Gott ist weder der Buchhalter unserer Sünden noch der Kassenwart für die guten Taten. Er erklärte: Wer aus Gottvertrauen heraus handelt, der tut auch das Richtige. Andererseits: Auf dem richtigen Weg ist nicht der, der seine guten Taten zusammenzählt und dem lieben Gott sagt: Jetzt habe ich genug getan. Erlösung lässt sich nicht sozusagen durch die Zahl der gottgefälligen Handlungen einlösen. Luther sah den Menschen zudem als ein Wesen voller Defizite und haderte oft: »Ich armer, elender, sündiger Mensch.« An dem Punkt blieb er verhaftet in seiner Zeit. Einer Zeit, in der ein Mensch vor allem über sein existenzielles Elend gesehen wurde. Ich sehe das heute anders: Warum dürfen wir uns nicht als Geschöpfe Gottes lobpreisen und dankbar sein für unsere Gaben und Begabungen, für das, was wir schaffen können in der Musik, der Malerei, der Technik, der Medizin? Vor allem Protestanten entwickelten aus Selbstzerknirschung und aus einer eigentlich wichtigen Gewissenserforschung beständig das Gefühl: Ich habe nicht genug getan. Dabei ist doch ein solches dauerndes Tun gar nicht die Bedingung, um Gott gefällig zu sein.
Können Sie persönlich abschalten?
Ich habe das erst in den vergangenen zehn Jahren gelernt und allmählich begriffen: Sitze ich abends beim Geburtstagsfest mit Freunden, ist nicht die Elbe dran, sondern die Qualität des Weines.
„ Man kann sich auch vergeuden, indem man sein Leben in der Daueranstrengung verbringt. ”
Das heißt, Sie waren bis Mitte fünfzig dauernd unter Strom. Was hat Sie bewogen, dies zu ändern?
In mir wuchs das Gefühl: Ich vergeude mich. Man kann sich vergeuden durch Nichtstun, durch Trägheit. Aber man kann sich auch vergeuden, indem man sein Leben in der Daueranstrengung verbringt. Ich fühlte mich immer mehr gelähmt: Ich habe mittlerweile einen guten Blick für den Zustand der Eichen, an den Wipfeln sehe ich, dass sie den Stress nicht mehr aushalten. Ihnen fehlt Wasser, sie werden krank. Wenn ich aber dauernd die Baumwipfel anschaue, dann sehe ich keinen Baum mehr. Ich rege mich auch heute noch sehr viel auf. Aber ich kann mich nicht dauernd aufregen, davon kriegt man nur Magenschmerzen.
Was treibt Sie an?
Die Liebe zum Leben und die Besorgnis über eine Welt, in der so vieles schiefläuft. Es gibt viele Bedrängte, Arme und Einsame. Dabei müsste das gar nicht so sein, wenn endlich mehr Menschen beitragen würden, dass sich etwas ändert. Wenn viel mehr Leute protestierten gegen Kriege, Umweltsünden, Globalisierungsschäden und gegen die frechen Lügen. Mich regt unheimlich auf, dass viel zu wenige sich aufraffen, und dies eben in einer Gesellschaft, in der das recht gut möglich ist.
Verzweifeln Sie?
Nein. Ich will klar sehen. Und ich werde immer hoffen, dass sich etwas ändert. Änderung ist immer möglich. Auch wenn es manchmal nicht so schnell geht, wie man hofft.
Wären Sie manchmal froh, Sie könnten besser über Probleme hinwegsehen?
Nein. Das hängt vielleicht auch mit meiner inneren Verankerung zusammen. In der Bibel gibt es die Erzählung vom barmherzigen Samariter. Sie zeigt ein Beispiel für die tätige Nächstenliebe, für die Bereitschaft, sich mit verschiedenen »Rollen« zu identifizieren und jeden zu verstehen.
Inwiefern verstärkt auch Ihre Prominenz, dass Sie schwerlich
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