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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
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enttäuscht. Wieso?
    Ja, das hört sich verwegen an. Grund ist, weil ich nicht weiß, ob ich ein weiteres Mal diesen inneren Frieden empfinden kann, mich nun zu verabschieden, wie damals.
    Nun sind Sie längst zurück, mitten im Leben. Sie sagen, man muss abschalten können, aber auch wach sein, sich verantwortlich fühlen …
    … aber nicht für alles zuständig. Ich habe wunderbare evangelische Freunde, die so eine Allzuständigkeit reklamieren: Wir müssen uns einsetzen gegen die Fremdenfeindlichkeit und gegen den Bau des neuen Hafens in Halle an der Saale und in der Kirchengemeinde und gegen die Umgehungsstraße und für ein neues Erziehungskonzept in der Schule. Auch wenn man sensibel ist für die Dinge in der Welt, die Veränderung und Einsatz brauchen, muss man immer wieder überschlagen: Welche Kraft habe ich? Worauf konzentriere ich mich? Was übernehmen die anderen, was ich? Es gibt eine Form protestantischer Allzuständigkeit, an der man nur zerbrechen kann. Das verlangt keiner von einem, das sind selbst gestellte Ansprüche, die sich auch daraus nähren, dass es leider eine große Masse gibt, die sich für gar nichts interessiert oder nur dann, wenn eine Umgehungsstraße durch ihr Viertel geht oder ihre Baumallee gefällt werden soll. Die Apathie dieser Leute Problemen gegenüber verleitet die Problembewussten, sich zu doll zu engagieren, manchmal so sehr, dass sie dabei nicht mehr glücklich sind. Mir fällt da ein böser Satz von Nietzsche ein: »Die Christen müssten mir erlöster aussehen, wenn ich an ihren Erlöser glauben sollte.« Das ist ein richtiger und wichtiger Satz.
    „ Jeder sollte sich längerfristig und intensiv an EINEM Projekt beteiligen … Nur wenn eine Gesellschaft ihre zivilgesellschaftlichen Herausforderungen annimmt, bleibt sie lebendig. ”
    Die einen fühlen sich für nichts, die anderen für alles zuständig: Wissen Sie einen Weg aus diesem Dilemma?
    Ich finde: Jeder, jeder Christ, jeder Staatsbürger, sollte sich längerfristig und intensiv an EINEM Projekt beteiligen, das über seinen unmittelbaren, beruflichen Bereich hinausgeht. Nur wenn eine Gesellschaft ihre zivilgesellschaftlichen Herausforderungen annimmt, bleibt sie lebendig, nicht wenn sie wieder – ich sage das »wieder« aus der Sicht eines ehemaligen DDR-Bürgers – alles an die Regierung delegiert, um dann einfach zu sagen: »Die sind verantwortlich. Die sind schuld.«
    Sie haben sich in Zeiten und in einem System engagiert, in dem das nicht ohne Risiko war. Heute wäre dies eigentlich einfach.
    Wir in der Kirche haben uns nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl klar gegen die Atomenergie ausgesprochen, obwohl man durch solche Äußerungen seine Arbeit verlieren konnte. Angela Merkel protestierte übrigens nicht, und das, obwohl sie Physikerin war. Sie wollte offensichtlich nicht ihre Arbeit in der Akademie gefährden. Andere haben ein solches Risiko in Kauf genommen. Heute hingegen wäre so unglaublich viel Engagement in wichtigen Fragen möglich, ohne dass man vergleichbare Nachteile riskieren müsste. Das gilt auch für die Kirche. Wo bleibt der Aufschrei der Kirche gegen die zur besten Fernsehsendezeit immer wieder gezeigte Art, wie Billigfleisch produziert wird! Jeder müsste wissen: Wenn vier Koteletts 1.89 Euro kosten, dann ist das Blutfleisch! Das ist Schuldfleisch, Quälfleisch! Trotzdem kaufen es viele, eben weil es billig ist. Ich verstehe das nicht. Mir ist an vielen Stellen das Aufregungspotenzial zu gering geworden. Und mich regt auf, dass es vor allem die Extreme gibt: Die, die nichts aufregt, und die Daueraufgeregten.
    „ Mir ist an vielen Stellen das Aufregungspotenzial zu gering geworden. ”
    Betroffenheit lässt sich nicht eindeutig zuweisen. Beispiel Stuttgart 21. Betrifft das die Anwohner rund um den Bahnhof? Die Stuttgarter? Die Baden-Württemberger? Jeden? Jeden, der Erfahrung hat mit solchen Bewegungen? Sie wurden genau deshalb direkt gefragt. Als prominenter Bürgerrechtsaktivist sollten Sie hier Gesicht zeigen und zu den Montagsdemonstrationen kommen.
    Ich habe darüber nachgedacht und mich entschlossen, das nicht zu machen.
    Warum nicht?
    Nun, ich würde ja dann bald selbst glauben, ich sei irgendwie der liebe Gott, der überall präsent ist – omnipräsent.
    Heiner Geissler ließ sich als Schlichter gewinnen.
    Er kommt ja auch aus der Gegend, ist dort zu Hause.
    Und Sie sind in dieser Art zu denken zu Hause. Sie kennen Möglichkeiten, sich gegen das Etablierte durchzusetzen;

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