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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
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Ihrer Mitstreiter Pfarrer. Etliche wechselten später in die Politik. Wo war die Grenze zwischen Theologe und Politiker?
    Manch einer dieser Mitstreiter war, glaube ich, nicht eigentlich Pfarrer, sondern ein geparkter Politiker.
    Was heißt das?
    Ein geparkter Politiker ist ein Pfarrer, der nur in der Kirche Raum fand für das, was er eigentlich wollte, nämlich politisch zu arbeiten.
    „ Ich bin immer ein Pfarrer gewesen. Einer, der die politische Relevanz des Evangeliums immer mit im Blick hatte – aber auch anderes. ”
    Waren Sie, zumindest zeitweise, auch ein geparkter Politiker?
    Nein, gar nie. Ich bin immer ein Pfarrer gewesen. Einer, der die politische Relevanz des Evangeliums immer mit im Blick hatte – aber auch anderes. Es gibt existenzielle Fragen nicht politischer Natur. Ich kann doch einer Frau, die mit 34 Jahren an Krebs erkrankt, nicht sagen, in Somalia sterben oft schon die Kinder. Es gibt tatsächlich Leute, die bringen es fertig, so jemandem zu erklären, sie habe ja 34 Jahre gelebt, in Somalia sterben viele Menschen viel früher. Ich finde aber, manche Dinge im Leben kann man nicht ins Politische schieben.
    Sie waren in der DDR im Demokratischen Aufbruch (DA), einer oppositionellen politischen Gruppierung und späteren Partei, die sich im Oktober 1989 aus einer Initiativgruppe überwiegend kirchlicher Vertreter formierte, der Sie ebenfalls angehörten. 81 Sie schilderten in einem Interview 82 , dass Mitstreiter der Bewegung Sie auf dem Parteitag des DA im Dezember 1989 wie in einer Inquisition behandelten und Sie als Paktierer mit dem Kommunismus beschimpften. Denn Sie hatten sich öffentlich dafür ausgesprochen, die nicht durch Wahlen legitimierte Regierung Modrow zu unterstützen, weil diese den Weg in die Demokratie ebne. Man wollte Sie zwingen zu widerrufen. Daraufhin packten Sie Ihre Sachen und fuhren nach Berlin zum Parteitag der Sozialdemokraten. 1990 wurden Sie SPD-Mitglied. Wie passt das?
    Der Demokratische Aufbruch war sozialdemokratisch und ökologisch orientiert. Doch bald war das nicht mehr die Haltung der Mehrheit; die machte Anlehnungspolitik aus Machtgründen. Ich hätte bei dem Parteitag auch in einer Kampfkandidatur antreten können, um Parteivorsitzender zu werden und das Ruder herumzureißen. Leute, die so dachten wie ich, haben mich dazu gedrängt. Doch das wollte ich nicht. Denn dann hätte ich noch viele weitere Kämpfe führen müssen. Ich wollte Pfarrer bleiben, nicht Parteivorsitzender werden.
    Warum sind Sie in die SPD gegangen?
    Ich will mich politisch einmischen. Mein Denken ist dem sozialdemokratischen sehr verwandt: Gerechtigkeit und Freiheit müssen tragende Säulen unserer Gesellschaft sein und damit Solidarität und Geschwisterlichkeit. Das finde ich vor allem – trotz allem! – bei der SPD.
    „ Ich wollte zeigen, dass auch in der neuen demokratischen Gesellschaft die biblische Botschaft Salz ist und Licht. ”
    Sie widersprechen sich: Vorhin sagten Sie, ein Pfarrer sollte keine Parteipolitik machen, treten dann aber selbst einer Partei bei.
    Für mich war 1989/90 wichtig, erstens Pfarrer zu bleiben. Zweitens: Ich wollte zeigen, dass auch in der neuen demokratischen Gesellschaft die biblische Botschaft Salz ist und Licht. Ich wollte nie spalten, so machte ich nicht Politik. Und ich hatte klare Prioritäten. Bei meinen Aufgaben als Pfarrer spielte für mich die Partei keine Rolle.
    Im Jahr 1990 wurden Sie in Wittenberg in den Stadtrat gewählt und dort zum Fraktionsvorsitzenden. Vier Jahre lang. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie man mit einem solchen Mandat parteiübergreifend agieren kann, und dies noch dazu, ohne dass man den Stallgeruch der Partei annimmt.
    Ich dachte damals, das muss ich nun tun; wer A sagt, muss auch B sagen. Ich habe aber gemerkt: Beides nebeneinander geht nicht. Und zwar deshalb nicht, weil ich im politischen Bereich polarisieren muss. Als Pfarrer muss ich aber ein Pontifex sein, also einer, der Brücken baut zueinander, und ich muss gleichzeitig sagen, ob das ein reißender Fluss ist und ob das Wasser sauber ist, um weiter in Bildern zu reden. Ich muss sagen, wo eine Brücke hingehört, wo nicht und warum. Und dafür muss ich Leute an einen Tisch bringen, die verschiedene Parteizugehörigkeiten haben können. Ich bedaure sehr, dass uns nicht gelungen ist, die Institution des Runden Tisches fortzusetzen, an dem nicht Machtverhältnisse, sondern Sachfragen eine Rolle spielten.
    Runde Tische statt Parlamente?
    Beides. Runde

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