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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
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der anderen Seite sind aber mittlerweile die Gemeinden auch zu groß. Manch einer fühlt sich schon mit der Fülle der Alltagsaufgaben überfordert. Und gerade überforderte Pfarrer resignieren oft und fühlen sich alleingelassen. Pfarrer sollten auch mehr untereinander diskutieren.
    „ Es ist Aufgabe der Kirche zu sagen: Wir wären keinen Deut unglücklicher, wenn wir etwas bescheidener leben würden. ”
    Worüber?
    Zum Beispiel darüber, ob wir in unserer Gesellschaft überhaupt die richtigen Diskussionen führen. Reicht es, über die Abschaffung von Kernenergie nachzudenken? Ist es wirklich eine Lösung, Kernenergie durch andere Energieformen abzulösen? Ich meine, unser eigentliches Thema wäre, nachzudenken, wie wir unseren verschleißenden Lebensstil ändern und generell weniger Energie verbrauchen könnten. Klar, die Leute wollen sich eine maximale Bequemlichkeit erhalten. Es ist aber Aufgabe der Kirche zu sagen: »Wir wären keinen Deut unglücklicher, wenn wir etwas bescheidener leben würden.«
    Haben manche Pfarrer möglicherweise Angst vor dem Polarisieren?
    Das ist doch kein Problem heute.
    Es könnte doch sein, dass die Kirchen noch leerer wären, wenn den Menschen dort unbequeme Wahrheiten aufgetischt würden.
    Ja, klar. Aber wir müssen einfach mutiger sein. Wir stehen immer vor der Entscheidung: Entweder wir sagen nicht, was zu sagen ist, und die Leute bleiben bei uns. Oder wir sagen es, und sie bleiben nicht da, weil wir es sagen. Oder wir sagen es und sie bleiben oder kommen sogar deshalb. Entscheidend ist nicht, sich zuallererst zu fragen, wie viele Leute einem wohl folgen, sondern was man selbst mit seinem Wissen und Gewissen für vereinbar hält und für so unverzichtbar, dass es angesprochen und angepackt werden muss. Ich glaube, auf Dauer wirkt sich immer gut aus, wenn Leute eine klare Haltung zeigen.
    Die evangelische Kirche in der DDR war nicht nur Ort des aufkeimenden Widerstands. Es gab auch sehr angepasste Kirchenkreise.
    Nicht so angepasst wie die Katholiken. Ich stellte einfach fest: In der DDR gab es protestantische Christen, die fanden, man solle die Kirche nicht so politisieren. Ich bin auch gegen eine Instrumentalisierung der Theologie. Aber ich bin ebenso dagegen, das Politische herauszunehmen und zu tun, als sei das Christliche ein Sonderbereich. Das Christliche muss die Welt durchwirken. Beim Propheten Jeremia steht: »Suchet der Stadt Bestes.« Und wenn es der Stadt gut geht, dann geht es euch gut. Was nicht gut läuft, muss benannt werden. Man muss widersprechen, wenn die Herrschenden nicht der Stadt Bestes wollen, sondern nur ihre Macht und ihre Ansprüche durchsetzen wollen.
    Im Kern geht es auch um das Verhältnis zur weltlichen Obrigkeit.
    Zum Glück habe ich hier in meiner Landeskirche und in vielen Kirchen der DDR wunderbar bestärkende, tief theologisch denkende und gleichzeitig politisch wache Menschen erlebt, die sich bewusst waren, dass Kirchenleute auch schon früher bisweilen der Obrigkeit nach dem Mund geredet haben. Dieses Untertanendenken hat mir nie eingeleuchtet, sicher seit meinem vierzehnten Lebensjahr nicht. Der Sohn eines Freundes von Dietrich Bonhoeffer erzählte mir damals, wie Bonhoeffer das sah: Ein Christ sei ganz nah an der Heiligen Schrift sowie an den Nöten und Hoffnungen der Menschen und er widerspreche allem, was Menschen zerstört, erniedrigt oder beleidigt. Bonhoeffer und sein Einsatz in der Bekennenden Kirche waren mir ein Vorbild; Bonhoeffer war in der Minderheit und ich ja auch. Mich an seiner Situation und an seinen Positionen zu orientieren, hat mich bestärkt. Man muss aber differenzieren. Manche Pfarrer hielten sich schlicht deswegen zurück mit kritischen Äußerungen, weil sie Baumaterial brauchten für ihre Kirchen und Krankenhäuser.
    Oskar Brüsewitz 88 , der in jungen Jahren vergeblich versucht hatte, aus der Wehrmacht zu desertieren, und später, als Pfarrer, den Kommunismus kritisierte, schockte und rüttelte auf, als er sich am 18. August 1976 auf dem Marktplatz von Zeitz mit Benzin übergoss und anzündete. Inwiefern hat Sie das aufgerüttelt?
    Ich kannte Oskar gut, wir sind zusammen ordiniert worden. Folgendes hätte ich damals nie öffentlich gesagt, weil ihn dann das Neue Deutschland zum Verrückten erklärt hätte: Oskar Brüsewitz wurde als Held instrumentalisiert. Tatsächlich hatte er ein Trauma durch die Vertreibung. Er kam aus dem Westen in die DDR, um gegen den Kommunismus anzutreten.
    Dieser Tod gab der

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