Meine Wut rettet mich
weithin per TV übertragenen Predigten vermied er den Namen Luther.
Genau deshalb, gerade weil dieses Gespräch mit den Protestanten so wenig vorzeigbare Ergebnisse brachte, nochmals die Frage: Weshalb hört man keinen lauten Protest auf evangelischer Seite?
Den gibt es wohl, aber der kommt medial nicht an. Präses Nikolaus Schneider fühlt sich wohl wegen seiner Position als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland verpflichtet, eher das Positive zu sehen. Das verstehe ich ja. Und es hat durchaus einen symbolischen Wert, dass der Papst ins Augustinerkloster Erfurt kam und damit an eine Wirkungsstätte des Reformators Luther. Aber das ist zu wenig, wir können uns doch nicht damit begnügen, uns zu freuen, dass der Papst an eine »unserer Stätten« kam. Da machen wir uns doch selbst ganz klein.
Worin sahen Sie Positives?
Er hob die Gerechtigkeit als Basis des Friedens hervor, was ja auch wichtig ist für politisches Handeln. Und er sprach über Ökologie. Aber fast überall entzog er sich den Antworten und dem Konkreten. Und er ließ wichtige Aspekte aus. Zur Ökologie beispielsweise gehört nicht nur die Gefahr der Manipulation menschlichen Lebens, sondern auch, wie man Natur verbraucht und vernichtet und wie Tiere durch unsere Massenproduktion leiden.
Was haben Sie vom Papstbesuch noch erhofft und erwartet?
Auch, dass er mit den innerkatholischen Kritikern spricht, mit den paar Hundert Theologieprofessoren, die wichtige Fragen an ihre Kirche stellten. 78
Nikolaus Schneider erkennt innerhalb der katholischen Kirche bereits Zeichen eines Wandels. Sie auch?
Ich bin nicht so bescheiden wie der EKD-Ratsvorsitzende. Nach 500 Jahren müsste da viel mehr Wandel sein. Wir Christen geben doch allen anderen gegenüber ein Bild der Zerstrittenheit ab. Wir sind noch nicht einmal in der Lage, einander zum heiligen Abendmahl und zu der heiligen Eucharistie einfach nur einzuladen. Jedenfalls verweigern das die katholischen Kirchenoberen.
„ Ich denke, in der katholischen Kirche herrscht die Angst, wenn man sich reformiere, bräche alles zusammen. ”
Ist die katholische Kirche überhaupt stark genug, sich zu verändern und sich zu öffnen?
Ich denke, in der katholischen Kirche herrscht die Angst, wenn man sich reformiere, bräche alles zusammen. Auch deshalb beharrt der Papst auf altem Dogmatismus und warnt vor Relativismus und Subjektivismus. Er setzt auf eine Art kirchlichen Kollektivismus. Wir brauchen aber die Freiheit des Einzelnen innerhalb einer Gemeinschaft und innerhalb einer Gesellschaft. So sehen das durchaus auch etliche Katholiken; jene Professoren zum Beispiel, die das Memorandum 2011 unterzeichnet haben. Man muss auch über die Sünde und die Schuld in den eigenen Reihen sprechen und dann versöhnen.
Der Papst hat durch seine Funktion zwar die katholische Weltkirche zu vertreten. Aber er wuchs auf im Land der Reformation. Wer, wenn nicht ein Papst mit diesen Wurzeln, müsste die Ökumene verstehen! Er könnte zum Beispiel den Kirchenbann aufheben – nach knapp einem halben Jahrtausend.
Das wäre überfällig. Auch um anzuerkennen, dass Luther nicht die Kirchenspaltung, sondern die Reform wollte. Offenheit gegenüber Reformen steht allen gut an. Und er könnte ganz einfach Luthers Konzentration auf die Bibel würdigen. Denn die Bibel verbindet uns ja alle. Es hätte schon viele Möglichkeiten gegeben. Stattdessen gab es nur ein bisschen Symbolökumene. Sie hat ja auch ihren Wert; es ist ein Zeichen, wenn der Papst einer geschiedenen Bischöfin die Hand reicht. Doch das genügt nicht. Und wenn ihm selbst die Kraft nicht ausreicht, sich die wichtigen Worte zu überlegen, hätten seine Berater für ihn etwas ausarbeiten können. Dieser Besuch war lange vorbereitet. Er wäre eine große Chance gewesen. Warum kommt da nicht etwas, das die Menschen orientiert? (Er klopft zu jeder Silbe auf den Tisch.) Ermutigt? Bestärkt? Wachsam macht?
Haben Sie noch Hoffnung für die Ökumene? Sehen Sie noch Chancen?
Die Chancen sind vertan und das ist gewollt. Dieser Papst hat immer das Konservative betont. Er hat immer, obwohl er Berater des Zweiten Vatikanischen Konzils war, genau dieses nicht fortsetzen und möglichst nicht umsetzen wollen. Im Gegenteil. Er tut alles, um den römischen Alleinvertretungsanspruch der Kirche zu erhalten. Dabei weiß er ganz genau, dass die christliche Kirche nicht deckungsgleich ist mit der katholischen Kirche. Auch bei seinem Deutschlandbesuch bestärkte er die
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