Meine zwei Halbzeiten
Jürgen und mir: «Verlassen Sie besser das Land, es ist
hier zu gefährlich für Sie, die Fans drehen durch. Wir fliegen Sie raus, ein Hubschrauber wartet auf Sie.» Ich überlegte schnell.
Wenn ich dieses Angebot annahm, würde ich vertragsbrüchig werden und konnte nicht auf die Vertragsauflösung und den Erhalt
des vereinbarten Geldes hoffen. Mit anderen Worten: Man wollte uns loswerden, ohne eine Abfindung zu zahlen.
Nach einer kleinen Pause erwiderte ich, dass dies einer Entlassung gleichkäme, ich das aber schriftlich haben möchte, sonst
würde ich in Bursa bleiben. Die Vorstandsmitglieder bestanden weiterhin auf meiner sofortigen Ausreise, die Auseinandersetzung
wurde immer härter und hitziger.
Plötzlich sprang einer der Männer hoch und schrie: «Damit Sie sehen, wie gefährlich die Situation für uns alle ist – das ist
unsere Sprache!» Er zückte einen ziemlich großen Revolver – und knallte ihn auf den Tisch.
|251| Da die Coltmündung direkt auf Jürgen zeigte, rückte er reflexartig näher zu mir heran. Mich machte dieses Schauspiel einfach
nur wütend. Ich gab meinem Co-Trainer ein Zeichen, und ohne ein weiteres Wort verließen wir den Besprechungsraum. Journalisten
und Kameraleute stürmten auf uns zu, aber wir verweigerten jede Stellungnahme.
Am Nachmittag fuhr ein Bus in die Villenanlage, aus dem dreißig, vierzig Leute, zum Teil mit Transparenten, ausstiegen. Auf
diesen standen Sprüche wie «Hodscha, Lehrer, verlass die Türkei, Hodscha, verlass Bursa!» Oder: «Wir sind Bursas, und du nicht,
verlass das Land!» Dieser Krawall war eindeutig organisiert.
Wie weit würde man hier gehen?, überlegte ich. Ein bisschen mulmig war mir schon zumute. Sie trommelten mit Fäusten an meine
Haustür, zertraten Blumenbeete. Als der Bus mit den Randalierern wieder davongefahren war, fuhr ich zu Marc Ziegler und seiner
Frau, die in der Nähe wohnten, und erzählte ihnen von dem Vorfall. Auf dem Nachhauseweg begleitete mich Marc, unterwegs sammelte
er einen Knüppel auf. So bewaffnet durchsuchten wir sämtliche Zimmer des Hauses, aber niemand hatte sich ins Haus gewagt.
An einer Außenmauer fanden wir nur Glasscherben von Bierflaschen, die man dagegengeworfen hatte.
Am nächsten Tag packte ich meine gesamten Sachen zusammen, die Villa verließ ich nicht einziges Mal. Ich wartete nur darauf,
dass der neue Trainer anfing und in den Medien darüber berichtet wurde. Dies war die einzige Chance, um beweisen zu können,
dass Jürgen und ich nicht mehr als Coachs angesehen wurden. Am Dienstag gab es tatsächlich eine Pressekonferenz mit dem neuen
Trainer von Bursaspor, wie Marc mir erzählte. Auch sei auf dem Trainingsgelände ein Tier geschlachtet worden, was nach einheimischen
Bräuchen darauf hinwies, dass man einen neuen Coach angeworben hatte. Tags darauf erschienen entsprechende Artikel in den
Zeitungen. Nun |252| hatte ich – neben den Aussagen meiner mitgebrachten Spieler – einen Beweis.
Um sieben Uhr morgens ging die erste Fähre nach Istanbul, die Ablegerstelle war nur fünf Kilometer von der Wohnanlage entfernt.
Jürgen Raab und ich verstauten Unmengen von Gepäck in meinem Mercedes, Marc fuhr uns zur Fähre; er gab später auch den Wagen
für mich ab. Einige Stunden später saßen Jürgen und ich in einem Flieger nach Düsseldorf. Es war Glück, dass niemand unsere
Flucht aus Bursa bemerkt hatte. Andernfalls weiß ich nicht, ob man uns so ohne Weiteres hätte gehen lassen. Dennoch fand ich
es schade, dass mein zweiter Auslandsjob nach einem halben Jahr zu Ende war. Ich hatte mich unabhängig von dieser Geschichte
in dem Land mit seinen sehr gastfreundlichen und hilfsbereiten Menschen äußerst wohl gefühlt und fahre immer noch gern in
den Urlaub dorthin.
Ein Jahr lang durfte ich kein neues Angebot als Trainer annehmen, keiner sollte mir nachsagen, ich hätte die Türkei verlassen,
weil ich einen Vertrag mit einem anderen Verein unterschreiben wollte. Immerhin schuldete man mir noch Geld für das Jahr.
Aus diesem Grund schaltete Christoph Schickhardt zuerst den DFB, später auch die FIFA sowie die UEFA ein. Mit all diesen Maßnahmen
hatten wir keinen Erfolg, Bursaspor reagierte nicht. Erst als der Fall vor dem Internationalen Sportgericht in Lausanne verhandelt
wurde, die oberste Sportgerichtsbarkeit und damit die letzte Entscheidungsinstanz für die Sportverbände in Streitfragen, kam
es nach fünf Jahren zu einer Einigung. Wer
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