Meine zwei Halbzeiten
musste vor
der Infiltration durch die sogenannten Bonner Ultras. Nein. Stange hatte denunziert und verraten, Menschen, die ihm nahestanden,
möglicherweise in Gefahr gebracht, um daraus persönliche Vorteile zu ziehen. Dadurch war er wohl auch Nationaltrainer geworden.
Nach diesem Gespräch habe ich nie wieder mit ihm geredet, auch nicht in der Öffentlichkeit. Beiden kann ich nicht verzeihen.
Denn die Enttäuschung, von zwei Freunden verraten worden zu sein, belastet mich noch heute.
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Türmen auf Türkisch
|244| Nach der Wende kam ich auch wieder mit dem Fußball in Ostdeutschland in Kontakt. Die Bundesliga stockte man auf zwanzig Vereine
auf, da die Oberliga-Mannschaften der einstigen Deutschen Demokratischen Republik (insgesamt sechzehn) mit aufgenommen werden
sollten. Vereine wie Dynamo Dresden, VFB Leipzig, Hansa Rostock oder Energie Cottbus spielten und spielen in der Ersten Bundesliga.
Schon Ende 1990 erhielt ich ein Angebot von Dynamo Dresden. Ich sah mir mit Chris das Stadion an, die Stadt, in der die westdeutschen
Banken immer noch in Containern untergebracht waren – und in diesem Moment war es für mich undenkbar, zu diesem Club zu wechseln.
Erstaunt hatte mich auch, dass ich dort mehr Geld verdient hätte als bei meinen vorherigen Vereinen. Woher hatten die das?,
überlegte ich angesichts eines baufälligen Stadions. Im Herbst 1991 rief mich überraschend Udo Lattek an und fragte, ob ich
Trainer des 1. FC Köln werden wolle. Ich sagte zu, und wieder einmal schaffte ich es, die abstiegsbedrohte Mannschaft (17. Tabellenplatz) in der Ersten Bundesliga zu halten und in den UEF A-Cup zu bringen. Dynamo Dresden stieg in dieser Saison dagegen ab. Ich konnte sagen, dass ich alles richtig gemacht hatte.
Nach der aufregenden Wende und der hektischen und bewegten Zeit der Stasiaktenaufklärung wurde mein Leben etwas ruhiger. Als
ich Anfang Oktober 1993 unser Kölner Haus betrat – beim FC war ich inzwischen entlassen worden –, schlug mir Zigarrengeruch entgegen. Das kann nur Rudi Assauer sein, dachte ich unwillkürlich, der will mich zu Schalke
holen. Und richtig, der Manager des Gelsenkirchener Vereins, bekannt für seinen Tabakkonsum, erwartete mich, um mir ein entsprechendes
Angebot zu machen. Es folgte eines meiner erfolgreichsten Engagements: Bis 1996 war ich Cheftrainer bei Schalke 04, eine Zeit
mit großen Höhen und Tiefen, Skandalen, Glücksmomenten und viel Emotionen. Gemeinsam mit Assauer gelang es mir erneut, |245| einen sportlich fast toten Verein ins internationale Geschäft zu führen.
Nach über drei Jahren bei Schalke 04 machte ich meine erste Auslandserfahrung als Coach: Ich ging in die Schweiz, zum FC Basel,
meine Familie zog mit um. Die neutrale Schweiz war das eigentliche Traumland ehemaliger DD R-Bürger . Es kursierte ein Witz, der dies zum Ausdruck brachte: Frage an Radio Eriwan: Ist in der Schweiz der Kommunismus möglich?
Antwort von Radio Eriwan: Im Prinzip ja, aber es wäre schade um die schöne Schweiz.
Nach dem FCB gab es eine Stippvisite beim Karlsruher Sportclub, schließlich wurde ich erneut als «Retter» bei Eintracht Frankfurt
engagiert. Nach einem dramatischen und entscheidenden Abstiegskampf gewannen wir wieder einmal gegen Kaiserslautern mit 5 : 1. In der Nacht nach dem Spiel wurde im Frankfurter Stadtteil Bornheim die Bergerstraße mit selbstgebastelten Schildern überklebt
und hieß kurzfristig «Jörg-Berger-Straße»; die Zeitungen zitierten am nächsten Tag meinen Spieler Jan-Åge Fjørtoft, dass «Berger
auch die Titanic gerettet» hätte.
Unabhängig davon verlief anscheinend alles zu geordnet, ich brauchte eine neue Herausforderung. Denn es ging ein seltsamer
Reiz davon aus, Coach einer abstiegsbedrohten Mannschaft der türkischen Süper Lig zu werden.
Der westtürkische Erstligist Bursaspor unterbreitete mir über einen Agenten im Jahr 2000 ein so verlockendes Angebot, dass
ich mir die Heimatstadt des Vereins anschaute. Bursa war eine Millionenstadt, nahe am Marmarameer im asiatischen Teil der
Türkei gelegen, mit dem Auto rund hundertfünfzig Kilometer von Istanbul entfernt. Sie war eingebettet in grüne Hügel, und
in der Nähe gab es das Uludag-Gebirge, ein ideales Skigebiet. Meine Familie und ich fühlten uns sofort wohl in dieser wunderschönen
Stadt, dem traumhaften Land und waren überwältigt von der Herzlichkeit der Menschen. Auch das Trainingsgelände war optimal,
ich
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