Meineid
betrachtet, als hätte ich Tess geopfert, obwohl ich mir sicher war, dass mit Jan Tinner etwas nicht stimmte. So war es aber nicht. Ich begriff gar nicht, worum es ging, als Tess Anfang März in der Kanzlei auftauchte, um Greta einen kurzen Besuch abzustatten. Da Greta gerade in einer Besprechung war, vertrieb Tess sich die Wartezeit in meinem Büro und erkundigte sich im Verlauf der Unterhaltung nebenher:
«Läuft da etwas zwischen Greta und ihrem Nachbarn?»
«Nein», sagte ich.
«Und warum sitzt er dann ständig bei ihr? Jedes Mal, wenn ich komme, ist er schon da. Was treiben sie denn die ganze Zeit?»
«Was habe ich mit dir getrieben, wenn wir zusammen waren?, gab ich zurück.
«Warum sollen ein Mann und eine Frau nicht ebenso befreundet sein können wie zwei Frauen oder zwei Männer? Man muss doch nicht immer gleich an Sex denken.»
Tess zuckte mit den Achseln.
«Ich habe aber das Gefühl, Greta denkt an nichts anderes.»
Vielleicht hätte ich ihr sagen sollen, dass ihr Gefühl sie nicht trog. Vielleicht hätte ich ehrlich sein und zugeben müssen, dass ich seit Jahresbeginn nicht mehr wusste, was sich abends in Gretas Wohnung abspielte. Dass ich nur jeden Morgen versuchte, es von Gretas Miene abzulesen, dort nichts fand, was nach einem Erfolg aussah, und daraus meine Sicherheit ableitete. Stattdessen sagte ich:
«Du hattest auch das Gefühl, du hättest mit Mandys Vater das große Los gezogen. Und was hast du? Eine Menge Ärger.»
Tess nickte in Gedanken versunken.
«Der Punkt geht an dich.»
Dann erzählte sie vom Terror der letzten Tage. Sie hatten wieder einmal nicht telefonieren können. Joachim war fast verrückt geworden. Er musste dringend ein Ersatzteil bestellen und jedes Mal, wenn er den Hörer abnahm, war die Leitung blockiert. Inzwischen wusste ich, dass sie in diesem Punkt flunkerte. Sie war nicht auf dem neuesten Stand der Technik. Ich hatte mich bei der Telekom kundig gemacht, wie man solchen Belästigungen begegnen konnte.
«Legen Sie auf und warten Sie ein paar Minuten, hatte man mir geraten.
«Früher konnte man auf diese Weise einen Anschluss lahm legen, so lange man wollte. Das geht längst nicht mehr. Nach etwa fünf Minuten wird die Leitung wieder aufgeschaltet.»
Ich wies Tess nicht auf die Weiterentwicklung hin. Sie schloss mit dem Hinweis:
«Es wird allmählich Zeit, dass ich meine Einstellung ändere, nicht wahr? Nach dem letzten Beisammensein brauche ich mir wohl keine Hoffnungen mehr zu machen.»
Mit einem spöttischen Lächeln fügte sie an:
«Und da du nicht mehr willst, muss ich eben in eine andere Richtung schauen.»
In welche Richtung sie schauen wollte, erklärte sie mir nicht. Mit keiner Silbe gab sie zu verstehen, dass sie beabsichtigte, Jan Tinner in die engere Wahl zu ziehen. Dem Anschein nach erging es ihr mit ihren Bemühungen zu Beginn nicht anders als Greta. In der ersten Aprilwoche mokierte sie sich einmal über Jan. Sie kam am Nachmittag in die Kanzlei, um Greta zu einem Einkaufsbummel abzuholen. Greta saß noch mit einem Mandanten zusammen, Tess leistete mir Gesellschaft. Es dauerte, sie wurde ungeduldig, schaute im Sekundentakt auf ihre Armbanduhr.
«Wenn Greta nicht bald erscheint, können wir es lassen. Das lohnt ja fast nicht mehr.»
Es war nicht einmal vier, und ich sagte:
«Die Läden sind noch mindestens zweieinhalb Stunden offen.»
«So viel Zeit hat Greta aber nicht. Sie muss ja noch duschen, ehe ihr Privatunterhalter auf der Matte steht.»
Es klang frustriert, als fühle Tess sich von Jan um Gretas Zeit betrogen.
«Komischer Typ, murmelte sie.
«Ich habe nicht den Eindruck, dass es ihn großartig interessiert, ob unsereins frisch geduscht ist.»
Nur eine gute Woche später stellte sie Greta vor vollendete Tatsachen. Sie trafen sich am Samstagnachmittag im Café an der Oper. Und Tess erzählte, sie habe am vergangenen Abend mit Jan geschlafen.
«Es war ein hartes Stück Arbeit und nicht gerade ein umwerfendes Erlebnis, erklärte sie.
«Aber ich muss an Mandy denken und ein paar Abstriche machen. Wenn man ein Kind hat, sollte man sich einen zuverlässigen Partner suchen. Einen Mann mit Verantwortungsgefühl, der mit Kindern umgehen kann.»
Mit einem Augenzwinkern fügte Tess an, sie wolle am Abend den zweiten Angriff starten. Sie war mit Jan verabredet – in seiner Wohnung. Mit wissendem Lächeln meinte sie, es gebe ein paar Tricks, auch einen schwerblütigen Mann auf Trab zu bringen. Greta war nicht fähig, darauf
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