Meineid
irgendetwas zu antworten. Sie war nicht verzweifelt, sondern restlos am Boden zerstört. Es sei anders gewesen als bei mir», sagte sie später. Sie habe nicht atmen können, nicht schlucken, nicht denken. Aber das gehörte wohl dazu. * Greta kam direkt vom Café aus nach Marienburg. Ich saß mit meinen Eltern, Hella und Luis Abeler auf der Terrasse. Luis und mein Vater diskutierten über eine Gesetzesänderung. Meine Mutter und Hella unterhielten sich über meinen älteren Bruder Horst, der sich in Japan – seinen dezenten Andeutungen am Telefon nach zu schließen – verliebt hatte. Als Greta so unvermittelt auftauchte, freute meine Mutter sich.
«Wie schön, dich zu sehen, Greta. Du hast dich so rar gemacht in letzter Zeit. Setz dich doch. Magst du einen Kaffee?»
«Vielen Dank», sagte Greta.
«Ich hatte schon einen.»
Das klang, als hätte sie statt eines Kaffees einen Schlag in den Magen bekommen. Sie schaute mich an.
«Hast du ein paar Minuten Zeit für umwerfende Neuigkeiten?»
Schon ihr Besuch – nach vier Monaten – machte deutlich, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Zudem sah sie aus, als hielte sie sich nur mit Mühe aufrecht. Ich entschuldigte uns und brachte sie hinauf in meine Wohnung. Als ich die Tür hinter uns schloss», sagte sie nur:
«Jan und Tess.»
Im ersten Moment war ich grenzenlos erleichtert, daraus will ich gar keinen Hehl machen. Ich legte ihr einen Arm um die Schultern und führte sie in die Küche.
«Nimm es dir nicht so zu Herzen. Nach mehr als einem Jahr war doch keine Hoffnung mehr für dich. Ich mache uns einen guten Kaffee, wir kippen uns einen kräftigen Schluck Cognac in die Tassen. Davon haben wir mehr, als über Tess und Jan zu diskutieren. Man muss erkennen, wann das Spiel gelaufen ist.»
Sie reagierte nicht, ließ sich auf einen Stuhl niederdrücken, saß da wie erstarrt. Beim Kaffee ertrug ich ihr Schweigen nicht länger.
«Wenn man die Gefühle außen vorlässt», sagte ich, «sind die Kombinationen doch nicht schlecht. Ein Autor mit einem Hang zur Perversion und eine Frau mit Phantasie und entsprechender Erfahrung. Tess wird ihm seine erste Szene schon in die endgültige Form bringen. Sie wird ihm so lange den Fuß ins Kreuz setzen, bis der Roman fertig ist. Dann liefert sie ihm noch Stoff für ein paar weitere. Groß und berühmt wird sie ihn machen.»
Greta rührte sich nicht. Ich war nicht sicher, ob sie mir überhaupt zuhörte, und griff nach ihren Händen.
«Und wir beide, Greta, zwei trockene Juristen. Wir hätten damals heiraten sollen. Wir hätten uns eine Menge erspart und wären heute glücklich und zufrieden. Aber wir können es nachholen. Niemand hindert uns daran.»
Da kam endlich Leben in ihr Gesicht. Sie lächelte kurz und sehr abfällig.
«Was kommt als Nächstes? Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben, Greta! Tief in meinem Innern wusste ich immer, dass du die richtige Frau für mich bist.»
Sie stieß die Luft aus.
«Mach dich doch nicht lächerlich! Ich weiß, was du denkst. Wenn eine Frau noch Jahre nach der geplatzten Verlobung mit dem Mann ihrer Träume ins Bett steigt, muss sie rein theoretisch auch etwas für diesen Mann empfinden. Du irrst dich, Niklas. Aus Träumen erwacht man und trauert ihnen nur kurz hinterher. Jan war nie mein Traum. Jan ist …»
Sie brach mitten im Satz in Tränen aus. Ich ließ sie weinen, hätte nicht gewusst, was ich sonst mit ihr tun sollte. Jan! Ich fragte mich, ob sie damals um mich geweint hatte – heimlich und unbeobachtet in ihrem winzigen Zimmer. Ein Vermögen hätte ich gegeben für die Antwort. Allein die Vorstellung, dass ihr Stolz damals jede Träne verhindert haben könnte, ließ meine Augen feucht werden. Ein paar Minuten saßen wir da, ich schaute in meinen Kaffee, weil ich mir ihre Auflösung nicht ansehen mochte. Von meiner anfänglichen Erleichterung war nichts übrig. Irgendwann stand ich vom Stuhl auf, ging zu ihr und zog sie hoch.
«Du hörst jetzt besser auf zu weinen», sagte ich.
«Sonst magst du morgen nicht in den Spiegel sehen.»
Auf dem Weg ins Schlafzimmer flüsterte sie:
«Warum hat Mandys Vater sie nicht umgebracht? Ich wünsche mir, er hätte es getan.»
«Nein, das wünschst du dir nicht», sagte ich.
«Du bist verletzt. Aber das gibt sich wieder. Sie ist doch deine Tess. Und wenn du Jan wirklich liebst, kannst du nichts wünschen, was ihn unglücklich macht. Wahre Liebe, Greta, kann verzichten. Mag sein, dass das Herz dabei in Fetzen geht. Aber bei
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